UK-EXPORTS: 5 DEUTSCHE ABLEGER

Über die Jahre hinweg haben sich viele deutsche Produktionsfirmen an Ablegern ausländischer Serien versucht, darunter nicht wenige aus dem Vereinigten Königreich. Manches war recht erfolgreich, anderes eine absolute Katastrophe. In meinem Artikel UK Exports: 10 legendäre Sketche habe ich schon die deutsche Adaption von The Sketch Show angesprochen, der es am nötigen Schwung fehlte. Sie war aber nur die Spitze des Eisbergs und man mag überrascht sein, welche vermeintlichen "Originale" eigentlich von den britischen Inseln stammen.






Das iTeam – Die Jungs an der Maus

Ableger von The IT Crowd



Das Orignal


The IT Crowd war eine britische Sitcom von Graham Linehan, die zwischen 2006 - 13 auf Channel 4 lief. Im Zentrum der Handlung steht die dreiköpfige IT-Abteilung von Reynholm Industries, bestehend aus dem neurotischen Iren Roy (Chris O'Dowd), dem weltfremden Geek Moss (Richard Ayoade) und ihrer Kollegin Jen (Katherine Parkinson) die zwar keine Ahnung von Computern hat, dafür im Gegensatz zu ihren beiden Kollegen über zumindest ein paar Social skills verfügt. Wiederkehrende Charaktere sind zudem ihr völlig größenwahnsinniger Boss Denholm Reynholm (Chris Morris), später ersetzt durch seinen Sohn Douglas (Matt Berry) und der exzentrische, in einen dunklen Serverraum verbannte Goth Richmond (Noel Fielding).


Schon anderthalb Jahre vor der amerikanischen Erfolgssitcom The Big Bang Theory beschäftige sich The IT Crowd mit "Nerds" und ihren Schwierigkeiten in der "normalen Welt", behielt das Schema aber im Gegensatz dazu ungebrochen bei, ohne es mit irgendeinem Beziehungskram aufzulockern. Der Humor der Serie ist gespickt mit subtilen pop- und nerdkulturellen Referenzen ohne die Mehrheit der Seher zu befremden; verbindet zum brüllen absurde Situationskomik mit brillanten Dialogen, die stark von den individuellen Stimmen und Akzenten der Akteure profitieren.





Der Ableger


Seit 2007 gab es drei Versuche einer amerikanischen Adaption, in einer davon nahm Richard Ayoade seine Rolle als Moss wieder auf. Bis jetzt blieben alle Bemühungen in der Richtung ohne Erfolg. Vielversprechender erschien der 2008 produzierte deutsche Ableger Das iTeam – Die Jungs an der Maus mit Sky du Mont, von dem auch tatsächlich eine erste Staffel für Sat 1 umgesetzt wurde. Allerdings wurde die Serie schon nach 2 Folgen wieder eingestellt. Die Kritiken waren vernichtend, selbst Graham Linehan der seine Originaldrehbücher für die Produktion beigesteuert hatte, meinte später "Oh, dear God, what have I done?" Ich selber konnte mir dazu leider kein Bild machen, da es mir nicht möglich war im Internet auch nur einen Ausschnitt aus dem Ableger zu erhaschen. Soviel ich mitbekommen habe handelte es sich dabei aber tatsächlich - ähnlich wie beim ersten Piloten der amerikanischen Ableger - um eine 1:1 Umsetzung bereits bestehender Folgen. Allein das Logo spricht aber schon Bände...








Stromberg

Ableger von The Office (UK)



Das Original


Das bekannteste Beispiel einer britischen Serie die es zu zahlreichen Adaptionen quer über den Globus geschafft hat, ist die Mockumentary-Sitcom The Office, aus der Feder von Ricky Gervais und Stephen Merchant (siehe auch The Ricky Gervais Show, sehr zu empfehlen!) Zwischen 2001 - 03 für die BBC produziert zeigt sie den Alltag in einem Großraumbüro unter der Leitung des überheblichen Managers David Brent (Ricky Gervais), der beim steten Versuch Dominanz und Souveränität vorzutäuschen von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert. Aber auch seine Untergebenen, die seine dummen Scherze erdulden müssen, sind nicht ohne Makel: So versucht beispielsweise der gelangweile Sachbearbeiter Tim Canterbury (Martin Freeman) der Fadesse seines Jobs zu entkommen indem er sich an die Rezeptionistin Dawn Tinsley (Lucy Davis) ranschmeißt, die allerdings mit Lagerarbeiter Tim liiert ist. Indess schwankt Brent's eigene Vorgesetzte Jennifer Taylor-Clark (Stirling Gallacher) zwischen Belustigung und Entsetzen über sein Verhalten den Mitarbeitern gegenüber.


The Office zeichnet sich durch das Spannungsfeld zwischen den Charakteren aus, sowie der tragischen Komik einer stets bröckelnden Fassade die Brent und seine Mitarbeiter aufrecht zu erhalten versuchen. Aber derart gekonnt, dass man der Serie ihren großen Erfolg nicht absprechen kann. Nicht umsonst gewann das originale The Office als erste britische Serie 2004 einen Golden Globe in den Kategorien Comedy sowie Musical/Comedy Actor (Ricky Gervais) und ließ amerikanische Produktionen wie Monk und Will & Grace leer ausgehen. 






Der Ableger


Noch weit erfolgreicher als das britische Original war die US-amerikanische Adaption gleichen Namens, die zwischen 2005 - 2013 auf NBC ausgestrahlt wurde. Steve Carell spielte Ricky Gervais' Counterpart Michael Scott. Etwa zur selben Zeit, genauer: Von 2004 - 2012 wurde auch ein Ableger für den deutschen Sender Pro7 umgesetzt; das von Ralf Husmann produzierte Stromberg. Der Leiter des Büros dient diesmal der titelgebende Bernd Stromberg, gespielt von Christoph Maria Herbst, der im Gegensatz zu seinen englischsprachigen Kollegen noch viel arroganter auftritt, sich nach Außen hin als Inbegriff des fleißigen Deutschen gibt, in Wahrheit aber ein noch viel intriganteres Arschloch ist, das kaum über wirkliche soziale noch fachliche Kompetenzen verfügt.


Wenngleich Stromberg sehr erfolgreich lief, einige Preise gewann und von Kritikern auch positiv aufgenommen wurde, war sein Status als Adaption nicht von Anfang an klar und die BBC musste erst Klage einreichen bevor ab der zweiten Staffel der Zusatz "Inspired by the UK BBC series ‚The Office‘ created by Ricky Gervais and Stephen Merchant" in den Credits integriert wurde.






Sketch History


Ableger von Horrible History



Disclaimer: Offiziell scheint es sich dabei zwar nicht um einen Ableger zu handeln, die Parallelen zwischen beiden Serien sind aber unverkennbar.


Das Original


Horrible Histories ist eine Sketchshow für Kinder, basierend auf den unterhaltsamen Geschichtsunterrichtsformaten gleichen Namens von Terry Deary. Das kreative Team hinter der Serie wurde aus bekannten britischen Comedyreihen für Erwachsene rekrutiert, die sich von historischen Satiren wie Blackadder oder den Monty Python-Filmen inspirieren ließen. Die Serie lief 2009 - 14 auf CBBC, moderiert von der Rattenpuppe Rattus Rattus (gesprochen von John Eccleston) - in späteren Neuauflagen von Stephen Fry - die darauf aufmerksam machte, welche Teile der schon ordentlich verulkten Ereignisse tatsächlichen Fakten entsprachen. Für die jeweiligen Epochen die vorgestellt wurden gab es zudem eigene Rubriknamen wie Rotten Romans, Terrible Tudors, Gorgeous Georgians oder Vile Victorians.


Die Reihe erfreute sich auch beim erwachsenen Publikum zunehmender Beliebtheit und gewann zahlreiche Preise. Kritiker loben die Genauigkeit der Fakten, stoßen sich aber mitunter daran, dass in der Serie, im Gegensatz zu den Büchern, viel mehr die Unterhaltung in den Vordergrund gestellt wurde. Viele der Gags drehen sich auch um gross-out humor, also der Behandlung von Fäkalhumor, der Ausscheidung von Körperflüssigkeiten, Tod und Folter. Allzu geschmacklos ist aber auch das nicht, im Vergleich zu den wohl überlegten, absurden Parodien, Rubriken und Musiknummern die während der Sendung zum Einsatz kommen.






Der Ableger


Zwischen 2015 - 19 sendete der ZDF in unregelmäßigen Abständen Folgen ihrer eigenen Sketchserie mit Fokus auf weltgeschichtliche Ereignisse, untermalt mit ironischen Off-Kommentaren von Bastian Pastewka und Animationen im Stil von Terry Gilliam. Im Gegensatz zu Horrible Histories werden in ihr auch wichtige Ereignisse der deutschen Geschichte und etwas modernere Anekdoten behandelt, wie ein Vorfall während des Drehs von Fitzgarraldo, in dem der Schauspieler Klaus Kinski ausrastete. Und der Fokus liegt auch bei weitem nicht so sehr nur auf Kindern, was sich auch an den zahlreichen Innuendos bemerken lässt. Die Reihe verblüfft mit authentischem Setdesign und Kostümen aus dem Doku-Fundus des ZDF, zeichnet sich für seinen besseren deutschen Humor und Liebe zur Situationskomik im Stile von Der Schuh des Manitu aus. Die Kritik schwankte zwischen hohem Lob und Stimmen die von einem billigen Abklatsch ebensolcher Reihen wie Horrible Histories sprachen, tatsächlich hat Sketch History aber auch ein paar Preise gewonnen. Der Idee es könnte sich um einen Ableger handeln könnte man entgegenhalten, dass es ähnliche Sendungen schon lange davor gegeben hat, wie das wenig bekannte The Complete and Utter History of Britain (1969) von und mit Michael Palin & Terry Jones. 






Hurra Deutschland

Ableger von Spitting Image



Das Original


Spitting Image war eine der letzten großen Fernsehproduktionen der britischen Alternative Comedy-Welle in den 1980ern. Eine politisch-satirische Puppenshow für Erwachsene die zwischen 1984 - 96 auf ITV lief, geschrieben und umgesetzt von Peter Fluck und Roger Law. Die zur Hand genommenen Latexpuppen bildeten groteske Karikaturen damals bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ab. Die Serie zeichnete sich für seinen unverschämten schwarzen Humor aus und hielt mit kritischen Spitzen am Weltgeschehen nicht zurück. Sie war ein großer Erfolg und wusste auch mit ihren musikalischen Einlagen zu überzeugen. The Chicken Song schaffte es seinerzeit auf Platz 1 in den UK-Charts. 2020 gab es eine Neuauflage mit Parodien des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump, deren Ausstrahlung in den USA stark eingebremst wurde.






Der Ableger


Der Erfolg von Spitting Image war so groß, dass es zahlreiche Ableger quer über den Globus gab. So auch in Deutschland, das vom WDR produzierte Hurra Deutschland (1989 - 91) das im Programm der ARD ausgestrahlt wurde. Im Gegensatz zum britischen Original nutzte die Sendung weitaus größere Puppen im Maßstab 1:1 die pro Stück 10.000 DM kosteten. Laut Produzenten Hugo Göke kostete eine Staffel soviel wie eine ganze Tatort-Produktion. Die Serie war stärker von der deutschen Kultur geprägt und lebte von seinen hervorragenden Stimmenimitatoren. Da ihre Inhalte aber zeitgeschichtlich nicht ganz so relevant waren - wen interessieren heute noch die privaten Eskapaden von Helmut Kohl - ist sie zunehmend in Vergessenheit geraten. Zwischen 2003 - 04 gab ein weniger bissiges Spinoff auf RTL 2, genannt Hurra Deutschland – Jetzt erst recht! und eine Puppe vom damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder fand auch Verwendung in den Musikvideos zur Radioreihe Die Gerd-Show von Stimmimitator Elmar Brandt.


Bei uns in Österreich gab es ebenfalls einen Ableger, wenn auch keinen allzu erfolgreichen. Telewisch'n lief zwischen 1987–1989 im Programm des ORF.





Die Nervensäge

Ableger von Goodbye, Mr. Kent



Das Original


Zum Schluss noch ein britisches Original das gefloppt ist und dessen deutscher Ableger weitaus erfolgreicher lief. Die Rede ist von der britischen Sitcom Goodbye, Mr. Kent das 1982 im Programm der BBC lief und es nicht über die erste Staffel hinaus schaffte. Und das obwohl sie mit den damals recht bekannten Darstellern Richard Briers und Hannah Gordon besetzt war. Die frisch geschiedene Victoria Jones (Gordon) lebt mit ihrer Tochter Lucy (Talla Hayes) zusammen in einem kleinen Haus und sucht händeringend einen Untermieter, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Dabei kommt ihr der eigensinnige Journalist Travis Kent (Briers) unter, der sich als äußerst schlampig und nervtötend erweist, der sich aber auch zusehends für sie erwärmt. Die Serie verdankt ihren Titel dem Umstand, dass Victoria stets kurz davor ist ihren unliebsamen Dauergast vor die Tür zu setzen. Goodbye, Mr. Kent ist ein gutes Beispiel dafür, dass gescheiterte britische Produktionen nicht automatisch schlecht sein müssen. Im Gegenteil: Die Serie ist sehr erheiternd, schwungvoll und warmherzig.





Der Ableger


1985 zeigte der ZDF den Ableger Die Nervensäge (später: Didi - Der Untermieter) mit Dieter Hallervorden, seiner damaligen Frau Rotraud Schindler und ihrer gemeinsamen Tochter Nathalie Hallervorden. Hierbei handelt es sich erneut - zumindest die Pilotfolge betreffend - um eine 1:1-Umsetzung, wobei das Timing diesmal erstklassig ist und sehr von der natürlichen Chemie der Charaktere profitiert. Zu den Autoren Peter Robinson und Peter Vincent die bereits an Goodbye, Mr Kent geschrieben hatten gesellten sich mehrere deutsche Kolleginnen und Kollegen, darunter Nathalie Hallervorden selbst.


Die Nervensäge ist kaum so rasant wie ihr englischer Counterpart, gleicht dies aber vor allem mit Dieter Hallervorden's charmant verschrobenen Art aus. Im Gegensatz zu dieser schaffte es die deutsche Serie auch in eine zweite Staffel die 1986 ausgestrahlt wurde.



#FEEDBACK

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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.