DIE GESCHICHTE DES SPAZIERGANGS

Eine der einfachsten und doch unterschätztesten Dinge die man tun kann: Spazieren gehen!

Photo (C) by Daria Obymaha




Man geht davon aus, dass die Vorfahren des Menschen vor 5 - 6 Millionen Jahren dazu übergingen sich des aufrechten Ganges zu bedienen. Über die genauen Beweggründe gibt es mehrere Theorien: Erhöhte Sichtbarkeit, Effizienz beim Laufen, Thermoregulation... Es hatte jedenfalls zur Folge, dass sich ihr Gehirn auf die neuen Gegebenheiten anpassen musste, erforderte eine größere Kontrolle über Muskeln und Knochen, einschließlich der Wirbelsäule, des Beckens und der Beine. Es mussten komplexere Informationen verarbeitet werden, wie der Gleichgewichtssinn, die Tiefenwahrnehmung, die räumlichen Orientierung und räumliches Denken. Dies stimulierte vor allem die Entwicklung des präfrontalen Kortex und des Kleinhirns, die eine massive Rolle in der Evolution hin zum modernen Menschen spielten.


Wir haben dem aufrechten Gang also eine Menge zu verdanken! Und doch nehmen wir ihn viel zu leichtfertig und unterschätzen was er immer noch für uns tun kann, besonders wenn es darum geht Inspiration zu tanken. (Was ja, wie hoffentlich mittlerweile etabliert, unser Steckenpferd ist hier beim Kollektiv-Magazin!) Man sieht die Leute allerorts auf den Straßen, gedankenverloren, den Kopf vornüber gebeugt auf ihre Handys hinabstarren und wundert sich, warum die Menschen immer dümmer werden! Zumal es soviel zu sehen gäbe, selbst an Orten an denen man jeden Tag wie selbstverständlich vorbeiläuft. So viele Möglichkeiten zu entdecken, zu reflektieren, projizieren!   


Um dem "Gehen" wieder mehr Liebe zukommen zu lassen, aber auch um über einige seiner ungeahnten Möglichkeiten zu informieren, wollen wir euch einladen uns auf einen Spaziergang durch die Geschichte des Spaziergangs zu begleiten...


   





Der Müßiggang




Der Müßiggang bezeichnet heute umgangssprachlich das freie, entspannte umherstreifen ohne jede Pflicht oder erholende Absicht. Meist steht es in Verbindung mit geistigen Genüssen oder leichten Vergnügungen. Man frönt schlicht der "Muße", also der Zeit die einem für sich selbst zur Verfügung steht und nicht mit einer praktischen oder sinnerfüllten Tätigkeit einhergehen muss, wie es in der Freizeit oder der im englischen Sprachraum geläufigeren "Quality Time" der Fall ist. 

Dabei hat der Müßiggang seine Wurzeln in durchaus konstruktiven Tätigkeiten: In der Antike nutzten vor allem die Philosophen den Müßiggang um die Welt zu betrachten, das Erlebte in Ruhe zu verarbeiten und sich ausgiebig Gedanken darüber zu machen. Er war ein wichtiger Teil ihres Studiums und lieferte einige erstaunliche Ergebnisse, von denen leider nur eine Handvoll überliefert wurden.

Dass er oft mit Faulheit oder gar Laster in Verbindung gebraucht wird, verdanken wir der christlichen Theologie im Mittelalter, die Faulheit/Trägheit den sieben Todsünden zuschrieb. Im Protestantismus die Arbeit und Beruf als wichtige Grundpfeiler unserer Gesellschaft betrachteten, und deren Lehren später Max Weber's Schriften zum Frühkapitalismus inspirierten - das nur am Rande - verkündete man gar: "Müßigkeit ist aller Laster Anfang." Ein Satz der nicht zuletzt vom dänischen Philosophen Søren Kierkegaard relativiert wurde, der schrieb:

„An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“

Heute wird der Müßiggang dadurch gerechtfertigt, dass man ihn mit einem erholsamen Spaziergang, einem Minimum sportlicher Ertüchtigung, mit Wellness oder meditativen Tätigkeiten in einen Topf wirft. Schon Friedrich Nietzsche äußerte sich zum Thema:

„Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: Der Hang zur Freude nennt sich bereits ‚Bedürfnis der Erholung‘ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. ‚Man ist es seiner Gesundheit schuldig‘ — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heißt zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“


Wie man es dreht und wendet: Das Gehen tut uns gut, fördert den Geist und bringt die kreativen Säfte zum fließen...



 





Flanieren

 

So wichtig wie das Gehen für Körper und Geist ist, so unterschiedlich sind die Arten und Weisen dies zu tun: Man kann eine Runde um den Block gehen, möglicherweise in Begleitung eines Vierbeiners. Man kann eine Strecke, die man sonst mit Auto, Fahrrad oder anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt hätte, zwecks der Entschleunigung etwa, zu Fuss absolvieren. Man kann aber auch planlos umherstreifen, sich treiben lassen, die Menschen und Dinge betrachten, Landschaft und Architektur bewundern. Ein beliebtes Synonym für letzteres Beispiel ist das sogenannte "Flanieren". 

Was das Flanieren zu früherer Zeit vom bloßen Spazieren unterschied, war dass es nicht allein darum ging zu sehen, sondern gesehen zu werden. Man ließ sich "anschauen", zeigte Präsenz und hatte Gelegenheit seinen Status zur Schau zu stellen. Keine ganz ungefährliche Angelegenheit, denn fiel man unangenehm auf wurde man schnell zum Opfer von Klatsch und Tratsch. Aus diesem Milieu heraus entwickelte sich die literarische Figur des Flaneurs, eines intellektuellen Beobachters der über die Dinge reflektiert und fachsimpelt, die ihm auf seinem täglichen Spaziergang über den Weg laufen. Er selbst zeigt sich dabei eher distanziert und über den Dingen stehend.


Sein weibliches Äquivalent war die Passante, die als Figur insofern spannender war, als dass sie sich zusätzlich über die herablassende oder besitzergreifende Art ihrer Mitmenschen erheben musste. Frauen die ziellos und ohne Begleitung umherspazierten galten damals leicht als lasterhaft. Ein chauvinistisches Bild, das zum Glück durch die zunehmende Mobilisierung und soziale Aufklärung abnahm. Nicht zuletzt dank des enormen Engagements der Frauen selbst. Es ist beeindruckend zu bemerken, dass das Flanieren auch als politisches Statement seine Berechtigung hatte und in vielerlei Weise immer noch hat. In der Sichtbarmachung von Diversität in Kultur, Religion und Identität etwa, die von vielen zweifelhaften Seiten leider immer noch in die Abnormität gedrängt werden möchte. Umso wichtiger ist der freie Zugang in den Öffentlichen Raum - ohne Furcht vor Repression! 


Auch wenn dem klassischen Flanieren schon vor langer Zeit der Tod beschieden wurde, finden sich heute noch weitreichende Beispiele für entsprechende oder ähnliche Motive. Man nehme nur die Wiener Kaffeehausliteratur, wo man als Autor bei einer gemütlichen Tasse Espresso sitzen und auf einem Schreibblock seine Beobachtungen notieren kann! Was die Flaneure und Passanten betrifft, findet man eine etwas zeitgenössischere Entsprechung im Phoneur, ein Begriff der 2005 von Kulturwissenschaftler Robert Luke definiert wurde. Diesem steht zusätzlich zu seinen persönlichen Beobachtungen und seinem Intellekt (falls überhaupt vorhanden), das gesamte Wissen des Internets zur Verfügung, das er auf Knopfdruck von seinem Mobilgerät abrufen kann. Was paradox ist wenn man bedenkt, dass dies mit "Treiben lassen" nur noch sehr wenig zu tun hat.



   





Promenadologie


1976 unternahm der Schweizer Soziologe Lucius Burckhardt ein soziales Experiment mit StudentInnen der Universität Kassel, den sogenannten "Urspaziergang". Er führte die Gruppe entlang eines vorgeplanten Weges nahe des Dorfs Riede und stellte die Aufgabe im Anschluss die besonders in Erinnerung gebliebenen Orte auf einer Karte zu verzeichnen. Darauf ergaben sich Übereinstimmungen die auf eine gemeinsame Vorprägung der Landschaftswahrnehmung hindeutete. Manche der Teilnehmer erinnerten sich sogar einen Brunnen gesehen zu haben, der nicht existierte, wohl ausgelöst durch eine situationsbedingte Assoziation mit dem Volkslied "Am Brunnen vor dem Tore".

Aus diesem Experiment begründete Burckhardt mit seiner Frau, der Künstlerin Annemarie Burckhardt die kulturwissenschaftliche und ästhetische Methode der "Promenadologie", auch "Spaziergangswissenschaft", englisch: "Strollology". Darin geht es um die Wahrnehmung von Umwelt und deren Erweiterung, auch im urbanen Umfeld. Spielte die Promenadologie erst eine größere Rolle im Diskurs um Stadt- und Landschaftsplanung, der Verbesserung der Lebensqualität und Sicherheit in den Städten, gewann sie auch zunehmend in der Kunst an Bedeutung. Unter anderem entwickelte sich daraus das Konzept des Stadtspaziergangs, das heute zunehmend an Beliebtheit gewinnt.

Der Stadtspaziergang funktioniert nach ähnlichen Methoden wie die (historische) Stadtführung oder das "Sightseeing" im Tourismus, hier wird allerdings ein stärkeres Bewusstsein für die Umgebung geschaffen und mitunter auch aktionistisch und narrativ auf andere Kunstformen zurückgegriffen. Oft braucht es nicht mal einen Führer im eigentlichen Sinne, um sich auf einen Stadtspaziergang zu begeben. Man kann sich auch auf einen vorgelegten Pfad oder eine Spurensuche begeben, die im Vorfeld präpariert wurden, um ein immersives Entdecken und Erleben zu ermöglichen. Oder man folgt den Spuren einer literarischen Figur in einem Buch, wie es Leser von James Joyce's "Ulysses" zu tun pflegen, wenn sie sich - gar am
Bloomsday - in Dublin aufhalten.


Auch hier finden sich erste Ansätze moderne Technologien in den Prozess mit einzubinden. Etwa durch Augmented Reality (siehe: Pokémon GO) oder Geocaching, auch als GPS-Schnitzeljagd bezeichnet. Oder Alternate Reality Games, kurz ARG genannt, über die wir im Rahmen unserer Artikelreihe Dark Oddities bereits mehrmals sprachen. (Beispiel: Dark Oddities #3 (ARG Edition))







Epilog



Ein wichtiger und auch oft unterschätzter Aspekt des Spaziergangs ist das nachhause kommen. Die Freude an relativ einfachen Dingen, wie das Schlüpfen in die gemütlichen Hausschuhe oder ein warmes erholsames Bad. Wenn man sich nochmal zurücklehnen kann und die gesammelten Eindrücke verarbeiten. Man mag sich fragen: War es nicht der Sinn und Zweck des Spazierganges sich zu erholen? Und da ist sie: Die Krux an der Sache! Wie soll man sich erholen, wenn man mit so vielen Sinneswahrnehmungen bombardiert wird? Wenn das Hirn stimuliert und man angeregt wird, über hundert Dinge nachzudenken, die Inspiration nur so sprudelt? Ganz zu schweigen von den Leuten denen man begegnet, Gespräche die man führt, Probleme und Lösungsansätze die man bespricht, die Gedanken und Emotionen die man davon trägt. Da kann man mal sehen wie leicht es in einem doch arbeiten kann, ohne dass es Anderen auffällt! Und wie leicht es doch ist einen guten Spaziergang zu unterschätzen...

#FEEDBACK

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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.