DARK ODDITIES #3 (ARG EDITION)

Disclaimer: Die hier gezeigten Beiträge enthalten zum Teil erschreckendes, verstörendes Material und schnelle Lichtwechsel die möglicherweise epileptische Anfälle auslösen können.


aus dem Trailer zum Film WTF is Neurocam? von Robert Hely.




Prolog



1997 erschien der Psychothriller The Game von David Filcher, in dem sich ein von Michael Douglas gespielter Geschäftsmann auf ein elaboriertes Spiel einlässt, das sein Leben für immer verändert. Die Gefahren denen er sich aussetzt scheinen allzu real, die Geschichte zu komplex um geplant zu sein. Als der Film in die Kinos kam, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Dass es einmal genutzt würde um ebensolche "Spiele" auf ein neues Level zu heben, hätte damals kaum jemand für möglich gehalten. Nun, ganz so wie in The Game verhält es sich mit Alternate Reality Games (kurz: ARG) zwar nicht - etwas derartiges umzusetzen wäre schon ein teurer Spaß und ein logistischer Alptraum.


ARGs sind dafür um ein vielfaches raffinierter und kreativer, nutzen diverse Medien in der virtuellen und realen Welt, sowie das Vorstellungsvermögen und didaktische Geschick eines jeden Spielers. ARGs werden auch oft als virales Marketingtool eingesetzt. Wenn beispielsweise in einer Serie oder einem Film eine bestimmte URL gezeigt wird führt diese zu einer tatsächlichen Homepage, die als Plattform für eine Schnitzeljagd nach Hinweisen über den weiteren Verlauf des Programms oder zu anderen Goodies führt. Die wirklich interessanten ARGs sind aber jene, die oft nicht als solche erkennbar sind. Jene die sich um ein dunkles, verstörendes Mysterium drehen. Das Problem dabei ist, dass man nie genau sagen kann, ob es sich dabei wirklich nur um ein Spiel handelt oder um etwas tatsächlich gefährliches, wie einen Kult, eine Terrororganisation oder jemand, der schlicht gutgläubige User in die Falle locken will...





Neurocam



2004 wurde auf einer riesigen Reklametafel in Melbourne, Australien ein rot-schwarzes Plakat angebracht auf dem folgende Worte standen: "GET OUT OF YOUR MIND" und darunter die Internetadresse "www.neurocam.com"  (mittlerweile Offline). Der Link führte zu einer ominösen Seite die gegen den Willen ihrer Besucher ein sehr rätselhaftes Video auf ihre Rechner lud. In diesem wurden mehrere maskierte Personen gezeigt die den Eindruck vermittelten Teil eines Kults zu sein. Die Seite selbst schien nicht dem Zweck zu dienen irgendjemandem irgendwas zu verkaufen. Was seltsam war, da sich allein schon die Miete für die Reklametafel auf 10.000 Dollar belief.


Neurocam stellte lediglich die Möglichkeit in Aussicht sich bei ihnen anzumelden - wofür genau erfuhr man erst, nachdem man sich einer Reihe von Tests unterzogen hatte. Jede Abweichung vom Protokoll führte zum sofortigen Rauswurf aus dem Programm. Wer wissen wollte was hinter Neurocam steckte musste sich wohl oder übel auf die Sache einlassen - keine Fragen! Nach den Tests wurde man mit einigen merkwürdigen Aufgaben betraut: Von der Beschaffung diverser Gegenstände und Informationen, bis hin zu Observierungen und halblegalen Aktionen die an Spionage erinnerten. Während all dem fanden sich weitere Plakate und Flyer zu Neurocam auf der ganzen Welt, dementsprechend international waren die Rekruten und überraschend die Umstände unter denen sie sich trafen.

Die Lösung des Rätsels sollte erst Jahre später kommen. In 2011, mit der Veröffentlichung eines Trailers zur der Dokumentation
WTF is Neurocam? von Robert Hely. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte ROBIN Hely von der Monash University in Melbourne eine Arbeit über Neurocam als soziologisches Kunstprojekt, das sich mit ARGs, Hoaxes, Geheimbünden u.a. befasste.

     





Cicada 3301



Ob es sich bei Cicada 3301 tatsächlich um ein ARG gehandelt hat oder, wie viele glauben, eine Form von Recruitment für das Militär, das FBI oder ein Geheimdienst, ist ungewiss. Bis heute konnte nicht zur Gänze geklärt werden wer hinter dem Projekt stand und was aus ihnen geworden ist. Sicher ist nur, dass sich folgendes zugetragen hat:


< Am 4. Januar 2012 postete ein anonymer User unter dem Pseudonym 3301 dieses Bild auf der Imageboard-Plattform 4chan. In wenigen Minuten entdeckten andere User eine verschlüsselte Nachricht im Quellcode des Bildes, die nach ihrer Auflösung den Link zu einem weiteren Bild preis gab. Dies war erst der Beginn einer weitschweifigen Schnitzeljagd nach Hinweisen die mit viel Verstand und ungeheurer Auffassungsgabe enträtselt werden wollten.


Innert kürzester Zeit verbreitete sich das anfängliche Bild im Internet wie ein Laubfeuer. Viele die das Ganze als nette Spielerei abgetan hatten stellten bald fest, dass mehr dahinter steckte und tatsächlich ein hohes Maß an Intelligenz vonnöten war, um all die Rätsel zu lösen. Die Spuren führten mitunter zu Büchern, Telefonnummern und Webseiten etc. Eine von ihnen zeigte das Bild einer Zikade und einen Countdown. War dieser abgelaufen wurde den Suchenden eine Liste von Koordinaten in fünf verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt übermittelt. Wer die Strapazen auf sich nahm dorthin zu reisen fand vor Ort ein Poster mit dem Zikaden-Logo und einem QR-Code. Von dort aus ging die Suche weiter bis man zu einer Homepage kam, die nur einer kleinen Gruppe von Leuten offen stand, die sie zuerst erreichte. Wer zu spät kam wurde mit der Message "WE WANT THE BEST, NOT THE FOLLOWERS" bestraft. 


Was sich danach mit den Finalisten abspielte ist nicht bekannt. Einen Monat später kam schließlich eine weitere Nachricht von 3301: Der Gewinner stünde fest. Was mit ihm/ihr geschehen würde blieb ein Rätsel. Das heißt: Es gab ein paar Leute die behaupteten gewonnen zu haben, doch aufgrund der Natur von Cicada 3301 ist es schwer das zu verifizieren. In den folgenden Jahren gab es weitere Runden, bis es 2017 ruhig um das Projekt wurde.



Strange Dream Surveys



Immer wieder gibt es ARGs die sich um das Sammeln von Erlebnisberichten drehen - insbesonderen seltsame Träume betreffend. Eines der bekanntesten Beispiele nahm 2008 ihren Anfang. Damals mehrten sich Gerüchte das mehrere Menschen auf der ganzen Welt, unabhängig voneinander von demselben Mann geträumt hätten. Zur selben Zeit nahm eine Seite namens Ever Dream This Man? ihren Betrieb auf und zeigte eine Skizze des Mannes (siehe links), gezeichnet von einem angeblich renommierten Psychiater aus New York, der behauptete, er und eine seiner Patientinnen hätten von derselben Person geträumt, wenngleich sie ihm nie begegnet waren. Obwohl This Man zu einem internationalen Phänomen heranwuchs und tatsächlich tausende Menschen behaupteten von ihm geträumt zu haben, stellte sich das Ganze spätestens 2010 als Hoax heraus. Als ein großangelegter Marketing-Stunt des Italieners Andrea Natella. 


Am 30. April 2015 fanden sich in Portland, Oregon zahlreiche Flyer des Williamette Valley Dream Survey mit der Bitte sich zu melden, sollte man "seltsame Träume" gehabt haben. Rief man die angegebene Telefonnummer an wurde man direkt zur Mailbox verbunden, mit der Bitte die Träume so detailliert wie möglich zu schildern. Was die Angelegenheit so mysteriös machte war, dass es offiziell keine Spuren von der Existenz eines Williamette Valley Dream Survey gab und die angegebene Nummer ursprünglich einem deutschsprachigen Sommercamp für Kinder gehörte. 

Fünf Jahre später tauchten ähnliche Flyer in Utah auf, welche diesmal zu einem Happy Valley Dream Survey gehörten. Wer diesmal anrief bekam später eine kryptische SMS zugeschickt: "9 goe̍h 5 ji̍t". Einige Leute auf Reddit und Youtube fanden heraus, dass es sich dabei um einen Code für "September 5th" handelt, was auf den überraschend wachsenden Internetkult um den Reddit-User September5Survivor schließen lässt, der Alpträume vom Ende der Welt hatte. Und zwar am 5. September 2024. Die einzige Rettung für die Welt läge ihm zufolge in unseren Träumen, auch The Sixth Realm genannt. Wie auch immer, es scheint sich beim Happy Valley Dream Survey um eine Nachahmung der Flyer in Oregon zu handeln, die mit dem Zweck angefertigt wurden, möglichst viele Leute auf sich aufmerksam zu machen.




Junko Junsui


2009 nahm eines der kontroversiellsten ARGs aller Zeiten seinen Anfang, das die Grenzen zwischen Realität und Fiktion derart aufweichte, dass es seine Spieler in ernsthafte Gefahr zu bringen drohte. Das Narrativ um eine Elitetruppe genetisch veränderter Superfrauen war hochwertig produziert und brillant in Szene gesetzt. Aber letztlich Fiktion, auch wenn einige der meist dunklen, verstörenden Inhalte gegenteiliges vermuten ließen. Die als Antagonisten herbeigezogene russische Sicherheitsfirma Alfa-Tsentr war jedoch echt und alles andere als erfreut darüber, von Reddit-Usern aus aller Welt mit der Entführung und Folterung junger Frauen beschuldigt zu werden. Was die Sache noch gefährlicher machte war, dass die im ARG verwendeten "Junsui" auf eine real existierende Gruppe von Selbstmordattentäterinnen basierte und am 16. August 2009 auf Facebook die Nachricht "The Junsui - THE ATTACK IS COMING" gepostet wurde. Nur eine Stunde vor einem tragischen Anschlag im russischen Nasran, nahe dem zuletzt vermuteten Aufenthaltsort der echten Junsui. Danach ließen mehr und mehr Spieler die Finger von der Sache, aus Angst in das sadistische Propaganda-Netz irgendwelcher Terroristen geraten zu sein. 

#FEEDBACK

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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.