PLUNDERPHONICS - ALLES NUR GEKLAUT?



In den frühen 1940ern nahm der ägyptische Komponist und Pionier der elektroakustischen Musik, damals Student in Kairo, Halim El-Dabh eine Zār-Zeremonie, eine Art Exorzismus, auf Tonband auf und verfremdete die Aufnahmen später. Das dabei erzeugte Stück "The Expression of Zaar" wurde 1944 in einer Galerie präsentiert. Es handelt sich dabei um das vermutlich älteste Beispiel der Musique Concrète.


Ihm folgten weitere Vertreter der Bewegung, wie ihr französischer Namensgeber Pierre Schaeffer, Pierre Henry, der Deutsche Karlheinz Stockhausen und der Grieche Iannis Xenakis, um nur Einige zu nennen. Unabhängig von ihnen experimentierte auch der japanische Komponist Tōru Takemitsu mit dem Medium Tonband. Das sich aus der Musique Concréte entwickelnde Konzept der Montage oder Sound collage bildete den Grundstein für das heute bekannte Sampling, welches durch entsprechende Geräte enorm erleichtert wurde: Schluss mit dem Zerhackstückeln und feinsäuberlichen Neuarrangieren von Magnetbändern - mit ein paar Knopfdrücken war die Sache gegessen!


Es gab nur ein Problem bei der Sache: Das Copyright. Selten hatten die Musiker die sich des Samplings bedienten die Rechte an dem Material das sie verwendeten. In Amerika gab es zwar die sogenannten "Fair use laws" welche eine limitierte Benutzung fremden Materials ohne Zustimmung der Rechteinhaber einräumten, sofern gewisse Auflagen eingehalten wurden. In manchen Fällen wurden dadurch aber Künstler um eine Menge Schotter gebracht. Bekanntestes Beispiel ist der sogenannte "Amen Break", ein siebenminütiger Ausschnitt aus der 1969 erschienenen Single "Amen, Brother" der Funk & Soul-Gruppierung The Winstons, welcher heute vor allem durch seine prominente Verwendung im Drum and Bass zu den am häufigsten verwendeten Schnipseln der Musikgeschichte zählt. Hier ein Beispiel:





In etlichen Fällen wurden Musiker aber auch zur Kasse gebeten, da sie sich unerlaubt beim Material anderer bedient hatten. Als besonders empfindlich hat sich dabei die Düsseldorfer Formation Kraftwerk erwiesen, die in den mehr als 50 Jahren ihres Bestehens mit Klagen nur so um sich geschmissen hat. Im Fall von Sabrina Setlur, für deren Song "Nur mir" aus dem Jahr 1997 der Produzent Moses Pelham zwei Sekunden(!) aus dem Kraftwerk-Klassiker "Metall auf Metall" gesampelt hatte, kam es zu einem Rechtsstreit der ganze 20 Jahre anhielt. 2016 entschied das Gericht zugunsten von Setlur, das Urteil wurde aber 2019 vom Europäischen Gerichtshof gekippt.


Die Copyright-Frage spaltet die Musikindustrie bis zum heutigen Tag. Aber zurück in die Vergangenheit, zurück zum Zeitalter der Sound collage und zu einem Visionär der ganz andere Vorstellungen hatte, wie mit der Sampling-Frage zu verfahren sei: John Oswald. 1985 veröffentlichte der kanadische Komponist einen Aufsatz betitelt mit Plunderphonics, or Audio Piracy as a Compositional Prerogative der wie folgt beginnt:


Musical instruments produce sounds. Composers produce music. Musical instruments reproduce music. Tape recorders, radios, disc players, etc., reproduce sound. A device such as a wind-up music box produces sound and reproduces music. A phonograph in the hands of a hip hop/scratch artist who plays a record like an electronic washboard with a phonographic needle as a plectrum, produces sounds which are unique and not reproduced - the record player becomes a musical instrument. A sampler, in essence a recording, transforming instrument, is simultaneously a documenting device and a creative device, in effect reducing a distinction manifested by copyright.


Sampling - Nicht bloße Zweckentfremdung origineller Versatzstücke, sondern ein Instrument mit eigener Identität und Originalität. Das ist die Idee von Plunderphonics! Und nicht wie heute oft fälschlicherweise geglaubt, das bewusst diebische Neuarrangieren populärer Werke, zwecks der Aufmerksamkeit. Hier wird im Grunde in dieselbe Kerbe geschlagen wie im Bereich der Micromontage, wo mit extrem verkürzten Samples gearbeitet wird (vgl. Microhouse, Akufen) oder der bereits 1960 von Iannis Xanakis erfundenen Granularsynthese, die noch einen Stück weiter geht, und völlig neue Klänge aus einer Aneinanderreihung vieler unterschiedlicher, feingeschnittener Klänge erzeugt.


Gleichzeitig unterstreicht Oswald die Daseinsberechtigung des bereits in den 1970ern praktizierten Turntablism im HipHop. Im Gegensatz dazu bedient sich Plunderphonic aber dem Reinklang der Samples, ohne sich von Copyright-Einschränkungen ins Handwerk pfuschen zu lassen. Im Gegenteil: Hier wird bewusst gegen die rigorosen Einschränkungen der Kunst protestiert. Dass es bei soviel Engagement regelmäßig zu Rechtsstreitigkeiten kommt ist abzusehen. Dem enormen Einfluss der Plunderphonics tut dies allerdings keinen Abbruch. Man nehme nur die diversen inoffiziellen Mashups die heutzutage im Netz kursieren, wie "The Grey Album" von Danger Mouse, das sich aus dem "White Album" der Beatles und dem "Black Album" von Jay-Z zusammensetzt. Oder Vaporwave, das meist nur aus verlangsamten Samples alter Popnummern besteht und als Subgenre des Plunderphonics gilt.


John Oswald veröffentlichte selbst seit den 1980ern unter dem Namen Plunderphonics entsprechende Alben, in denen er Material von Gruppen wie den Doors, Michael Jackson und vielen mehr durch die Mangel nahm...



#FEEDBACK

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Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.