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LEKTIONEN DES LEBENS... IM JAZZ?

Prolog

Gestattet mir das heutige Thema an einem dafür etwas ungewöhnlichen Ort zu beginnen. Nämlich nicht im New Orleans der 1920er Jahre, wo der Jazz eigentlich seinen Anfang nahm. Sondern in der ersten Folge der gerade aktuellen dritten Staffel von Star Trek: Picard. Es wird Sinn ergeben, versprochen! 


In ihr taucht der von Todd Stashwick verkörperte Captain Shaw auf, ein Charakter der bewusst so geschrieben wurde, dass er mit allem was er sagt und tut aneckt. In der Szene links zum Beispiel stösst er einem gealterten Captain William Riker (Jonathan Frakes) vor den Kopf, in dem er verkündet, das von seinem Gast geschätzte Musikgenre nicht leiden zu können, da es diesem offenbar an Struktur mangle. 


Nun wird jeder der sich auch nur ein bisschen mit Jazz beschäftigt hat wissen, dass hier sehr wohl Struktur zu finden ist! Sie ist halt etwas komplexer, beruht auf Jahrzehnten des Herumexperimentierens mit Musiktheorie und den sich stets verändernden Hörgewohnheiten jeder Generation. Das schien auch der Fangemeinde nicht entgangen zu sein, die zur Zeit der Erstausstrahlung ausgiebig Memes zum Thema verteilte. Wodurch auch meine Wenigkeit auf die Sache aufmerksam wurde. 


In den Kommentaren fanden sich tatsächlich ein paar User, welche die Sache ähnlich wie Captain Shaw sahen. Nämlich dass im Jazz einfach gespielt wird worauf man gerade Lust hat, ohne Maß und Ziel, was das Ganze unglaublich anstrengend macht. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber gibt es tatsächlich soviele Leute die keine Muster darin erkennen? Die sich verloren fühlen, wenn sie mit etwas anspruchsvolleren Klangfolgen konfrontiert werden? Wie muss es ihnen dann erst mit dem Leben gehen, in all seiner mannigfachen Schönheit und Komplexität? 


Und da war sie plötzlich, die Idee für diesen Artikel...


 



Was können wir vom Jazz lernen?




Eines von John Coltrane's bekanntesten Musikstücken, bekannt geworden durch seinen Einsatz der "Coltrane changes". Näheres dazu unten...



Wir empfinden Ordnung als etwas angenehmes, da sie uns Raum gibt, hilft die Dinge zu überblicken und unnötige Reizüberflutungen auf ein Minimum zu beschränken. Unordnung wirkt sich auf's Erste einmal gegenteilig aus, wird als platzraubend, unübersichtlich und unangenehm wahrgenommen. Doch ist Unordnung nicht gleich Unordnung! In vielen Fällen steckt schon ein System dahinter. Alles hat seinen Platz und findet sich dort wo WIR es hingelegt haben, einfach weil es für UNS an der Stelle gerade mehr Sinn ergibt. Das hat zur Wirkung, dass wir uns in der eigenen Unordnung leichter zurecht finden als Andere, was uns schon mal einen enormen Vorteil ihnen gegenüber verschafft.

Käme nun jemand daher um einmal "Ordnung zu schaffen" würde er damit, zumindest aus unserer Sicht, das genaue Gegenteil erreichen. Wir fänden nichts mehr! Gegenstände vielleicht, aber nicht die Gedankengänge die uns dazu veranlassten zB den Radiergummi neben die halbleere Kaffeetasse zu stellen. Warum haben wir das getan? Die Ordnung der Stifte und Notizzettel hätte möglicherweise Auskunft darüber erteilen können, aber die liegen ja nun wieder sorgfältig aneinandergereiht in der Schublade!


Jede Unordnung ist eine Ordnung die sich zu einer Geschichte entfaltet. Nehmen wir zum Beispiel Der Herr der Ringe: Zu Beginn ist alles an seinem Platz. Die Hobbits im Auenland, die Elben in Bruchtal, die Orks in Mordor etc. Einfach und übersichtlich! Damit die Handlung passieren kann muss aber Bewegung in die Sache: Bünde müssen geschlossen, Konflikte ausgetragen, Strategien entwickelt werden. Wer dem aufmerksam folgt wird keine Probleme haben sich zurecht zu finden. Wer den Faden verliert oder gar quereinsteigt, sieht sich mit einer Welt konfrontiert die scheinbar keinen Sinn ergibt. Alles ist Chaos! Hier Ordnung zu schaffen hieße alle vorzeitig nachhause zu schicken. Aber was für eine Geschichte wäre das denn?

Geschichten funktionieren, weil es trotz all den Verwicklungen und dem Chaos immer noch feste Regeln gibt. Ein Hobbit wird nicht aus dem Nichts heraus entscheiden sich wie ein Ork verhalten zu wollen! Jeder hat seine Rolle, seine Natur, seine Verhaltensmuster und sein Verhältnis den Anderen gegenüber. Und so ist es auch mit dem Jazz! Man dudelt nicht einfach vor sich hin was einem gerade in den Sinn kommt, man macht sich mit dem was man hat vertraut und improvisiert DARÜBER. Und damit das in der Gruppe funktioniert muss man lernen zu KOMMUNIZIEREN. Das bedarf einer gewissen Etikette, Technik, Taktgefühl und Raffinesse. Einer Kenntnis von Musiktheorie und einer Handvoll Standards die jeder kennt und über die man gemeinsam locker flockig drüber improvisieren kann. 







Stichwort Kommunikation: Die meisten Konflikte entstehen durch mangelhafte Kommunikation. Was sich an einem Jazzensemble leicht nachvollziehen lässt, denn nur wenn die Musiker aufeinander hören gelingt ihnen das Zusammenspiel selbst mit den kompliziertesten Kapriolen. Es hilft einen Common Ground zu finden. Im Jazz sind das die bereits erwähnten "Standards", Vorlagen klassischer Musikstücke die genügend Raum für eigene Interpretationen lassen. 


Aber warum soll man sich das alles überhaupt antun? Warum begnügen sich Jazzmusiker nicht damit einfache, unkomplizierte Stücke zu machen die sich jeder gern anhören kann? Weil es Spaß macht! Es ist eine Herausforderung, ein Sport. Man übt sich in der Disziplin immer kompliziertere, härtere, schneller Stücke zu spielen. Bumm - Bumm - Bumm - Bumm... das kann jeder! Jazz hat aber noch einen weiteren Vorteil: Eben weil die Stücke dort mitunter sehr komplex werden können, tut man sich leichter im Konfliktmanagement, sprich: Geschickt über einen Fehler hinweg zu improvisieren und ihn in einen Glücksgriff umzuwandeln. Eine Fähigkeit die einen in brenzligen Situationen schon den Arsch retten kann!

Der Legende nach soll Louis Armstrong das Scaten erfunden haben, als ihm während einer Aufnahme der Text runterfiel. Die Aufnahme anzuhalten und einen weiteren Take in Angriff zu nehmen wäre bei den damals vorherrschenden Produktionsmöglichkeiten zu teuer geworden, weshalb sich Louis einfach darauf verlegte onomatopoetische Klangfolgen abzusondern. Der Erfolg gab ihm natürlich recht! Man muss aber kein Jazzmusiker sein um sich diese Erkenntnis zunutze zu machen. Es reicht unser Hirn auch mal mit etwas komplexeren Strukturen zu trainieren, um es für die dort durchaus vorhandene Ordnung und Harmonie empfänglicher zu machen. Auf das wir uns künftig leichter mit Lösungsansätzen tun!




Charlie Parker - Confirmation





Duke Ellington - Ko-Ko





Dizzy Gillespie - Night in Tunisia





Thelonious Monk - Round Midnight





Charles Mingus - Epitaph

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