DIE GESCHICHTE DES SCHLAGERS (4)

Source: Helene FIscher




4. Party, Techno, Atemlos



Wie zuvor schon erwähnt entstammen viele Schlager der Nachkriegszeit der Faschings- und Karnevalsszene. Ein Trend der über die Jahrzehnte nicht nachgelassen hat. Im Gegenteil: Schlager und Volksmusik nahmen zunehmend einen Eventcharakter an. Schlagerstars füllten nicht nur Hallen, sondern traten auch bei Umzügen und in Zirkuszelten auf. Später konnte man mit seinen Lieblingen von Funk und Fernsehen sogar auf Reisen gehen, Wallfahrten, Kreuzfahrten etc. Auch die Jugend blieb davon nicht unberührt. Das Wirtschaftswunder der 1950er brachte neue Reisemöglichkeiten, die sich durch den Fall der Sowjetunion Ende der 1980er nur noch erweiterten, und der Schlager wurde zu einem Guilty Plessure, dem man sich im Urlaub schon mal hingab - besonders wenn eine entsprechende Menge Alkohol involviert war. Eine Entwicklung die noch halbwegs tolerierbar gewesen wäre, hätte man den Techno aus dem Spiel gelassen...


In den 1970er und 80er Jahren entwickelte sich in den Staaten, unter anderem inspiriert von der Diskomusik a la Giorgio Moroder und den minimalistischen Rhythmen von Kraftwerk, eine Vielzahl unterschiedlicher Stile der Elektronischen Musik, darunter der Techno. Dieser erlebte in den 90er Jahren einen großen Hype, was der Schlagerpartie nicht verborgen blieb, die kurzerhand das ganze alte Zeugs aus dem Keller holte und mit etwas Bumm-Bumm neu auflegte. Es war die Geburtsstunde der neuen deutschen Party- und Saufkultur, die alle Generationen miteinander verband und saftige Gewinne abwarf. Auf einmal war der Schlager überall: Nicht nur an der Reeperbahn in Hamburg oder in den Bierzelten am Oktoberfest in München, sondern auch beim Après-Ski in den Almhütten, am Ballermann auf Mallorca, auf der Maturareise nach irgendwo. Nach langen Jahren des Nischendaseins war der Schlager endlich wieder im Mainstream angelangt.





Inzwischen wurde die Neue Deutsche Welle von der neu erwachten deutschen Pop- (Pur, Die Prinzen) und Hip Hop-Szene (Die fantastischen Vier, Freundeskreis), sowie der Hamburger Schule (Tocotronic, Die Sterne, Blumfeld) abgelöst. Neue deutschsprachige Musik abseits des Mainstreams wurde durch alternative Medien wie die Musiksender MTV und VIVA, das deutsche Magazin Spex und den österreichischen Radiosender FM4 zugänglicher gemacht. Neue Genres entstanden, kreierten ihr eigenes Zielpublikum, wie die Neue Deutsche Härte (Rammstein) oder Clicks & Cuts (Mouse on Mars, Alva Noto). Das Spektrum deutschsprachiger Musik wurde immer größer, nahm durch die Digitalisierung und der damit verbundenen, erleichterten Soundproduktion noch erheblich zu. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts hatte sich der traditionelle Schlager allerdings auf ein relativ festgefahrenes Programm eingespielt, mit viel Hall in der Stimme und gefühlsbetonten Texten die in etwa so edgy sind, wie das Weiße in der Semmel. Der Partyschlager dem wir Interpreten wie DJ Ötzi oder Andreas Gabalier zu "verdanken" haben, knüpfte an den Trends der 90er an. Und der Schlagerpop, oder: Popschlager wie man heute auch sagt, orientierte sich stärker denn je am Mainstream - dabei häufig ein wenig hinterher hinkend, um auch ja den Nostalgiefaktor auszureizen - und präsentierte sich mit entsprechenden Bühnenshows. Bestes Beispiel: Helene Fischer.   

 





Aber halt: Hatten Schlager und Volksmusik in all der Zeit keinerlei Einfluss auf den Underground? Oh doch, durchaus! Gerade in den vergangenen 30 Jahren hat eine erstaunliche Aufarbeitung stattgefunden. Durch österreichische Akteure wie Hubert von Goisern oder Attwenger entwickelte sich die Neue Volksmusik, auch Volxmusik oder Tradimix genannt, die sich mehr an der Weltmusik orientiert, eher subtilerer Elektronik bedient und Experimenten nicht grundsätzlich abgeneigt ist. Innerhalb der Hamburger Schule gab es Player wie Rocko Schamoni, der schnulzige Lieder mit viel Punk und Ironie hervorbrachte und der zusammen mit Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen den für die Szene wichtigen Golden Pudel Club betrieb. Ihr Kumpel Heinz Strunk erzählt unterdessen in seinem Buch Fleisch ist mein Gemüse über seine Zeit in einer Tanzkapelle.


In Berlin gab es die Gruppe Stereo Total die französische, aber auch deutsche Schlager mit einer Mischung aus Elektronik und Rockabilly neu interpretierte. Dieweil sich die Jungs von Element of Crime nach Jahren des englischsprachigen Rocks durch die Musik von Brecht und Weill zu deutschsprachiger Musik umentschieden hatten und mittlerweile auch nicht mehr davor zurückschrecken Freddy Quinn zu covern. In Österreich gab es Gustav mit Rettet die Wale, die Laokoongruppe die in einem Will Oldham-Cover den Donauwalzer verwendet - wir erinnern uns: Der erste als solcher bezeichnete Schlager. Fritz Ostermayer von der FM4-Kultsendung Im Sumpf zeigt sich vom Schlager begeistert und auch sein Kollege Hermes scheut nicht davor zurück mit alten Couplets aufzuwarten. Kurzum: Die Toleranz dem alten Schlager gegenüber ist selbst im Underground nur gewachsen.


Wovon man sich aber nach wie vor distanziert ist der gesellschaftliche Eskapismus, der über jede ernstzunehmende Kritik hinwegtäuschende Nationalstolz, sind die verstaubten Ansichten und fragwürdigen Moralvorstellungen, die Showhuren und Geschäftemacher, die vor der Kamera mit den Fans hausieren gehen und Backstage über sie ablästern, während sie sich möglicherweise auch noch mit Alkohol und Kokain das Hirn wegbomben. Oder die Skandalträger, von denen man nie gedacht hätte wozu sie fähig sind. Fairerweise sollte man allerdings dazusagen, dass es all das in so gut wie jedem Genre gibt, wo Kohle zu machen ist! Beim traditionellen Schlager kommt halt erschwerend die Utopie hinzu, die man seinem Publikum malt und die schnell zu einer Dystopie aufgebauscht werden kann, wenn auch nur der kleinste Makel zu erkennen ist. Am Besten man bleibt authentisch und nimmt sich selbst nicht immer ganz so ernst! In diesem Sinne...

   

 





The End

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Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.