DARK ODDITIES #5 (MUSIKVIDEO EDITION)

Source: "Monkey Drummer" (2001) by Aphex Twin + Chris Cunningham.




Prolog



Als jemand der in den 1980ern und 90ern aufwuchs kann ich mit Fug und Recht behaupten einige wirklich verstörende Musikvideos gesehen zu haben. Es war die Zeit als Sender wie MTV und VIVA noch vornehmlich Musik spielten, statt mit diversen TV-Formaten herum zu experimentieren. Da musste man sich als Musiker schon was einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken. Da war viel Kreatives dabei, aber auch unfreiwillig Komisches, Bizarres und Gruseliges. Heutzutage glauben viele die perverse Schaulust ihrer Fans befriedigen zu müssen, mit blutrünstigen, gewalttätigen und übersexualisierten Szenen. Hängen bleiben aber die wirklichen Kunstwerke, mit viel Liebe zum Detail und jene Videos mit einer tragischen Hintergrundgeschichte...






Aphex Twin - Rubber Johnny (2005) 



Richard D. James alias Aphex Twin ist ein britisch-irischer Musiker, DJ und Betreiber des Labels Rephlex Records. Er gilt als Ikone des Intelligent Dance Music-Genres (kurz IDM) - er selbst verwendet den weniger wertenden Begriff Braindance. Aphex Twin galt vor allem in den späten 90ern und Anfang der 2000er als ein Visionär der elektronischen Musik, gestützt vor allem durch seine Musikvideos die in Zusammenarbeit mit Video artist Chris Cunningham entstanden. Cunningham ist für seine experimentierfreudigen Arbeiten bekannt wie ein bunter Hund, er hat auch mit Interpreten wie Autechre, Björk, Madonna, Portishead, Squarepusher uva zusammengearbeitet.


2005 brachten die Beiden das verstörende Musikvideo Rubber Johnny heraus, das großteils in Infrarot gedreht wurde. Johnny (gespielt von Cunningham) ist ein in Dunkelheit gehaltener "Freak" im Rollstuhl, der zu unglaublich flinken, die Gesetze der Physik brechenden Verrenkungen fähig ist, dieweil er zu einer Version von Aphex Twin's "Afx237 v.7" tanzt. Mit ihm im Dunkeln ist ein Chihuahua, dessen riesige Augen dem Schauspiel ein zusätzlich gruseliges Element verleihen.










Soul Asylum - Runaway Train (1993)



Runaway Train war eine 1993 herausgebrachte Powerballade der amerikanischen Rockband Soul Asylum, die vor allem durch ihre Musikvideos (es gab internationale Versionen) bekannt wurde, in denen auf vermisste Kinder und Teenager aufmerksam gemacht wurde. Die Videos wurden vom jüdisch-stämmigen Engländer Tony Kaye produziert, dem späteren Regisseur des Filmklassikers American History X, und wurden wegen ihrer wichtigen Message sehr häufig auf MTV und VH1 gespielt.


Durch die großangelegte Kampagne konnten 26 vermisste Kinder wiedergefunden werden. Etliche Fälle endeten aber in einer Tragödie: Wie sich herausstellte waren manche tatsächlich davongelaufen, um den prekären Verhältnissen in ihrem Elternhaus zu entkommen. Andernorts wurden Leichen gefunden und Eltern verhaftet, die für ihre Ermordung verantwortlich waren. Viele der in Australien gezeigten Kinder entpuppten sich als Opfer des Serienmörders Ivan Milat. Darüber hinaus blieben mindestens 9 Fälle bis zum heutigen Tag ungeklärt.









Falco - Jeanny (1985)



Wie schon erwähnt waren die 1980er nicht arm an verstörenden Musikvideos, einige Skandale waren aber auch dabei: Zunehmende Sexualisierung, heikle Themen und verstörende Inhalte brachten die Stimmung zum kochen. In Deutschland setzte sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften für etliche Sendeverbote ein und auch MTV boykottiere eine Menge Musikvideos, was dem Sender viel Kritik einbrachte. Als einer der größten Skandale im deutschsprachigen Raum gilt die 1985 erschienene Single Jeanny der österreichischen Poplegende Falco, die scheinbar aus der Sicht eines psychopathischen Mädchenmörders erzählt wurde. Das Video, mit seinen Anleihen an Filme wie "M", "Der dritte Mann" und "Psycho", unterstreicht dabei die zutiefst verstörenden Geschichte des Musikstücks. Viele Sender boykottierten "Jeanny" weil es angeblich Vergewaltigung und Gewalt an Frauen verherrliche, sogar Wetten dass-Legende Thomas Gottschalk zeigte sich empört.


Die Geschichte um Jeanny geht aber noch tiefer, entpuppt sich als viel subtiler und dramatischer als zuvor angenommen. Es deutet sich an, dass der von Falco gesprochene Mann unschuldig ist, Jeanny ihren Tod nur vorgetäuscht hat und es sich in Wahrheit um ein tragisches Liebeslied handelt. Tatsächlich wurde die Nummer 1986 mit Coming Home (Jeanny Part 2, ein Jahr danach), 1990 mit Bar Minor 7/11 (Jeanny Dry) und 2009 mit The Spirit Never Dies (Jeanny Final) fortgesetzt. 2000 kam zudem ein alternativer dritter Teil heraus, Where Are You Now (Jeanny Part 3). Dieser wurde allerdings ohne Erlaubnis der Rechteinhaber veröffentlicht. Regie für das Musikvideo führte der Australier Russell Mulcahy. Zurzeit befindet sich eine Umsetzung als Fernseh-Thriller mit Manuel Rubey in Arbeit.


 








David Bowie - Lazarus (2015)



18 Monate vor seinem Tod wurde David Bowie mit Leberkrebs diagnostiziert. Er verschwieg dies gegenüber der Öffentlichkeit und widmete sich stattdessen seinem letzten großen Album Darkstar. Noch während das Musikvideo zu Lazarus, der letzten zu Bowie's Lebzeiten veröffentlichten Single gedreht wurde, teilten ihm die Ärzte mit, dass es keine Heilungschancen mehr gab und seine Behandlung eingestellt würde. Laut seinem langjährigen Producer Tony Visconti sollte Lazarus ein Selbst-Epitaph sein, ein letzter Kommentar zu Bowie's nahendem Ende. Gedreht wurde in New York, Regisseur war der Schwede Johan Renck, der später auch an der Serie Chernobyl arbeiten sollte. Das Video kam am 7. Januar 2016 heraus, drei Tage vor David Bowie starb. 



#FEEDBACK

von Manuel Waldner 6. September 2025
HOSE RUNTER: DER PODCAST VOR SHOW DE TOILETTE
von Peter.W. 5. September 2025
Das Mark des Lebens aussaugen
von Manuel Waldner 5. September 2025
DR. MICHAEL HOCH & DI DR. NORBERT FRISCHAUF
von Manuel Waldner 23. August 2025
EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.