COVER HISTORY: YOKO ONO



Am 8. Dezember 1980 wurde John Lennon vor dem Eingang zu seinem Apartement im Dakota Building, New York von Attentäter Mark David Chapman ermordet. An seiner Seite war Lennon's damalige Frau, die renommierte Künstlerin Yoko Ono. Sein plötzlicher, tragischer Tod machte mehr Menschen denn je auf die Arbeiten des Paares aufmerksam. So ist es nicht verwunderlich, dass Yoko Ono's im Februar des darauffolgenden Jahres erschienene Single Walking on Thin Ice - eine der letzten Nummern an der Lennon mitgearbeitet hatte - zu ihrem bis dato kommerziell erfolgreichsten Werk avancierte. Sie und John Lennon hatten noch am Abend seiner Ermordung an ihrem Feinschliff gearbeitet.


Im April 1981 kehrte Yoko Ono ins Studio zurück um an der Seite von Phil Spektor an dem Album Season of Glass zu arbeiten, in welchem mehrere Anspielungen auf John Lennon und seinen Tod zu finden sind. Zudem gibt ihr gemeinsamer Sohn Sean Lennon, damals erst fünf Jahre alt, eine Geschichte wieder, die ihm sein Vater zu erzählen pflegte. Das Album gilt bis heute als Yoko Ono's erfolgreichstes. Eine Kontroverse löste allerdings die Wahl des Coverphotos aus, das die Künstlerin selbst angefertigt hatte und auf dem, neben einem halben Glas Wasser die blutverschmierte Brille Lennon's zu sehen ist.


Yoko Ono dazu im Begleitheft der 1992 erschienenen Kompilation Onobox:


I used a photo I took of John’s blood-stained glasses on the record

cover. The record company called me and said the record shops would

not stock the record unless I changed the cover. I didn ‘t understand it.

Why? They said it was in bad taste. I felt like a person soaked in blood

coming into a living room full of people and reporting that my husband

was dead, his body was taken away, and the pair of glasses were the only

thing I had managed to salvage – and people looking at me saying it was

in bad taste to show the glasses to them. “I’m not changing the cover.

This is what John is now,” I said. 

Das Foto wurde im Apartment der Lennons, in den oberen Stockwerken des Dakota Building gemacht, von wo aus man einen herrlichen Blick auf den Central Park hat. Zu erkennen ist dies anhand eines von vielen Bildern die von Fotografin Annie Leibovitz für den Rolling Stone angefertigt wurden und das ebenfalls am 8. Dezember 1980. Es ist dasselbe Fenster, fast dieselbe Lichtstimmung über der New Yorker Skyline! Was vermuten lässt, dass das Coverfoto nur wenige Tage danach entstanden sein kann. Schon am 9. Dezember begann Yoko Ono das Stück I Don’t Know Why zu komponieren, was nahelegt, dass auch das Foto an jenem Tag entstand. Aber hat Yoko Ono tatsächlich die echte blutverschmierte Brille ihres soeben verstorbenen Mannes verwendet? Sie sieht zumindest nicht aus wie jene runden Modelle mit dünnem Rahmen, die man von Lennon sonst gewohnt war!

Dieses Foto wurde bereits drei Tage vor dem Anschlag von Annie Leibovitz geschossen, als Lennon ein Interview mit Jonathan Cott führte. Näheres dazu hier: https://www.rollingstone.com/feature/john-lennon-the-last-interview-179443/


Im Interview beschreibt Cott folgendes Gespräch:


“I guess I should describe to the readers what you’re wearing, John,” I said. “Let me help you out,” he offered, then intoned wryly, “You can see the glasses he’s wearing. They’re normal, plastic, blue-frame glasses. Nothing like the famous wire-rimmed Lennon glasses that he stopped using in 1973."


"That he stopped using in 1973!" Die Möglichkeit besteht also durchaus. Aber ist die hier gezeigte Brille dieselbe? Das ist doch eindeutig eine Sonnenbrille! Jein! Es kann sein, dass Lennon noch eine Zweite mit klaren Gläsern hatte. Nach kurzer Recherchen weiß ich allerdings zu berichten, dass es phototrope Brillengläser, die sich je nach Helligkeit selbstständig abdunkeln, bereits seit den 1960ern gibt. Dass sie auf dem Cover klar sind lässt sich mit der Rückseite von Season of Glass erklären, wo sich der gezeigte Raum selbst als dunkel offenbart, also keine direkte Sonnenstrahlung vorhanden ist und die Gläser daher klar sind. Was dem Gesamtbild noch eine weitere Bedeutungsebene zuführen würde, die aber gerne der werten Leserschaft zur Analyse überlassen bleibt.

2013 verwendete Yoko Ono das Bild erneut, um in mehreren Tweets ein Waffenverbot in den USA zu fordern. Sie nahm Anstoss an der Entscheidung des amerikanischen Senats ein Verbot von Angriffswaffen durchzusetzen, welches durch einen Amoklauf in einer Schule in Newtown, Connecticut zur Sprache gebracht worden war. Unter anderem bezeichnete sie die Staaten in ihrem gegebenen Zustand als "Warzone" und forderte die Massen dazu auf, gemeinsam das grüne Land des Friedens zurückzubringen.


Was den Mörder ihres viel zu früh verstorbenen Mannes, Mark David Chapman betrifft, so setzt sie sich nach wie vor dafür ein, ihn nicht mehr freikommen zu lassen. Seit 2000 verbringt sie alle zwei Jahre damit seine Bewährungsgesuche niederzuschlagen, mit der Begründung sich immer noch durch ihn bedroht zu fühlen. Im August 2020 scheiterte sein mittlerweile elftes Gesuch.


Ihr Sohn Sean Lennon, mittlerweile 45, ist selbst als Musiker aktiv und spielt in diversen Bands wie Cibo Matto oder The Ghost of a Saber Tooth Tiger, hat aber nie den Kultstatus seines Vaters erreicht. Zudem spielte er als Kind an der Seite von Michael Jackson in dessen Kultfilm Moonwalker mit.

#FEEDBACK

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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.