COVER HISTORY: CAN




Zwischen 1961 und 62 veröffentlichte der US-amerikanische Künstler Andy Warhol 32 im Siebdruckverfahren hergestellte Pop Art-Bilder, deren Motive samt und sonders Suppendosen der Campbell Soup Company darstellten. Seine Ausstellung der Campbell's Soup Cans betitelten Werke in Ferus Gallery in Los Angeles wurde zunächst von Kritik und Skepsis begleitet, da es Warhol gewagt hatte sich den gegebenen Konventionen zu widersetzen. Sein langfristiger Erfolg in der Kunstwelt gab ihm allerdings recht!




Photo (C) Andy Warhol, Campbell’s Soup Cans, 1962, image courtesy of the Museum of Modern Art, New York.




1966 unternahm Irmin Schmidt, seines Zeichens Komponist und Tasteninstrumentalist aus Berlin, der unter Karlheinz Stockhausen in Köln studiert hatte, einen Trip nach New York, um mit der hiesigen Avantgarde-Szene auf Tuchfühlung zu gehen. Als er sich unversehens in der Blase um Warhol und das Chelsea Hotel wiederfand, bemächtigte sich ihm ein bisher nicht gekanntes Interesse an den kreativen Entfaltungsmöglichkeiten der Rock- und Jazzmusik.


Inspiriert kehrte er nach Köln zurück, wo er zusammen mit Avantgardist David C. Johnson und Musiklehrer Holger Czukay eine neue Band gründete. Zu ihnen gesellten sich ein damaliger Schüler Czukay's, der Gitarrist Michael Karoli, der durch seine esoterischen Studien ein Interesse an osteuropäischen Spielarten entwickelt hatte, und der vom Free Jazz abgekommene Schlagzeuger Jaki Liebezeit.


Als sich die Gruppe von ihrem anfänglich ethnisch-anmutendem Sound verabschiedete und den mehr energetischen, rohen Klängen des Garage Rock frönte, stieg Johnson ihm Jahr 1968 aus. An seiner Stelle trat kurzzeitig der Amerikaner Malcolm Mooney, der nur ein Jahr später auf Anraten seines Therapeuten wieder austrat und seinerseits 1970 vom japanischen Straßenmusiker Kenji "Damo" Suzuki abgelöst wurde, den Czukay und Liebezeit vor einem Münchner Café aufgabelt hatten.


Die Band nannte sich zunächst "Inner Space", entschied sich dann aber auf einen Vorschlag Mooney's hin für CAN, da das Wort in vielen Sprachen stets eine positive Bedeutung beibehält. So bedeutet es im Türkischen, je nach Kontext, so etwas wie Leben, Herzblut oder Seele. Ob sich die Gruppe dabei von Warhol's Campbell's Soup Cans mitinspirieren ließ ist, darüber ließ sich in der Kürze der Zeit nichts finden. Einigen wenigen Quellen zufolge - die allerdings relativ allein auf weiter Flur stehen - soll zumindest das Cover des dritten Studioalbums Ege Bamyasi (1972) eine Anspielung auf das 10 Jahre zuvor debütierende Werk sein.







In einem Artikel des britischen Magazins UNCUT erklärte Irmin Schmidt, dass hinter dem Cover eigentlich kein tieferes Konzept steckt und Jaki Liebezeit lediglich beim Einkaufen in einem türkischen Supermarkt über eine besonders markante Dose Ägäischer Okraschoten (Türkisch: Ege Bamyasi) stolperte. Auf dessen Basis gestaltete der Grafiker Ingo Trauer, der später auch für andere Krautrock-Bands wie Amon Düül II tätig war, das ikonische Albumcover.


Über die Entstehungsgeschichte des Albums gäbe es eigentlich eine Menge Interessantes zu berichten, beispielsweise wurde die ohnehin schon unter Zeitdruck stehende Produktion durch das exzessive Schachspiel von Schmidt und Suzuki in die Länge gezogen. Da es hier allerdings primär um das Cover gehen soll, verweisen wir auf dieses Video von Pitchwork:






Waren Andy Warhol's Suppendosen ein Abbild US-amerikanischer Kultur, so spiegelt sich im Cover Ege Bamyasi's deutlich der Osten wieder. Und damit ist nicht der Eiserne Vorhang gemeint, von dem man damals noch mit Frösteln sprach. Sondern beispielsweise die Ursprünge jener Fremden, die man zwischen 1955 und 73 als Gastarbeiter willkommen geheißen hatte, nur um sie später als Parasiten zu beschimpfen, die einem angeblich die Arbeitsplätze wegnehmen. Obwohl man es bizarrerweise selbst gewesen ist, der sie überhaupt erst eingeladen hat! Und das nicht ohne Grund:


Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den deutschsprachigen Länder viele Männer entweder zu alt geworden, nicht zurückgekehrt oder schlicht nicht mehr in der Lage zu arbeiten, kurz: Es gab nicht genügend Arbeitskräfte um die Wirtschaft nach dem Abmarsch der Alliierten wieder auf Vordermann zu bekommen. Man war auf Hilfskräfte aus anderen Ländern angewiesen, die schließlich auch tüchtig mithalfen das große Wirtschaftswunder überhaupt erst möglich zu machen. Ein kultureller Austausch fand, wenn überhaupt, nur in sehr kleinem Rahmen statt. Darüber hinaus wurde die Diaspora eher sich selbst überlassen. Absorbiert wurde eher was aus dem Westen kam, der die Leute immerhin vor den Nazis gerettet hatte. Wobei gerade der mit seinem Kulturimperialismus noch einen weitaus größeren Schaden anrichten sollte!







Campbell's Soup Cans und Ege Bamyasi sind somit auch ein Sinnbild für Mainstream und Underground. Beziehungsweise: Das Yin und Yang von Mainstream und Underground. Denn obwohl es sich beim ersten Werk um die Darstellung eines kommerziellen US-amerikanischen Produktes handelt, dürfen wir nicht vergessen, das Warhol damit die Konventionen und den Kunstbegriff seiner Zeit herausforderte. Und obwohl das Cover von Ege Bamyasi Bezug auf ein Produkt mit ethnischen Wurzeln nimmt, handelt es sich inhaltlich um eine Band die ihre dahingehenden Ambitionen erst recht wieder zugunsten eher westlich geprägter Einflüsse weiterentwickelt hat. Die wiederum, so fair muss man sein, ihre Wurzeln selbst in einer Diaspora haben! 


Manche sind dem Irrglauben verfallen, dass Warhol's Dosen ausschließlich Tomatensuppe enthalten, was wohl dem Umstand geschuldet ist, dass es sich um Siebdrucke handelt und die "Beefsteak Tomato Soup" von 1897 das erste Dosenprodukt aus dem Hause Campbell war. Die Ege Bamyasi-Dose enthält dem Vernehmen nach auch keine Tomaten, aber zumindest ist eine solche links im Bild dargestellt. Unterm Strich kann man sagen, dass es sich mit der Kunst wie mit dem Wort "CAN" verhält. Je nach Kontext, nach Relation zu den Dingen, verändert sich ihre Bedeutung und wer versucht sie auf eine Dose zu reduzieren, in der immer genau das drin ist was drauf steht, der keinen Spielraum für Missverständnisse und Interpretationen lässt, hat vom Leben nichts verstanden. Oder, um Leo Tolstoi zu zitieren:


"Nirgends ist Konservatismus so schädlich wie in der Kunst."





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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.