DIE GESCHICHTE DES SCHLAGERS (1)

Source: Henri de Toulouse-Lautrec - La Danse au Moulin-Rouge




Prolog


Vor einiger Zeit, nach den Aufnahmen des Podcasts mit Norbert Frischauf (siehe hier) saßen Manuel Waldner und ich noch eine gute Weile zusammen und redeten über Dieses & Jenes.  Irgendwann kam auch die Sprache auf das Thema Musik, insbesondere die Ähnlichkeiten mancher Popnummern mit regionaler Schlagermusik. Übersetzte man nämlich so manches Lied ins Deutsche, hätte man im Grunde denselben schmalzigen Kitsch. Soweit die Theorie! Schließlich bat mich Manuel darüber einen Artikel zu schreiben. Ich sah ihn an als hätte er den Verstand verloren. Meinte er das ernst? Ich war ja offen für viele, zum Teil hochobskure Musikrichtungen. Aber Schlager?


Je länger ich in den kommenden Tagen über die Idee nachdachte, desto interessanter erschienen mir einige der damit verbundenen Aspekte. Was macht Schlager für Viele so reizvoll und für Andere unerträglich? Wo liegen die Wurzeln, was sind die Einflüsse? Und was kann man daraus lernen? Also gut! Meinetwegen! Bevor ich aber auch nur ein Viertel des Artikels fertiggestellt hatte, überraschte mich Manuel mit einem weiteren Podcast in dem wir mehr oder weniger spontan über das Thema sprachen...






Während des spontanen Gesprächs kristallisierte sich heraus, dass ich nochmal von vorne anfangen musste. Und zwar ganz von vorn! Hier also der "Versuch" einer geschichtlichen Aufarbeitung des Themas Schlager und seiner Verbindung zum Pop. Einiges konnte ich recherchieren, anderes musste ich mir anhand der wenigen vorhandenen Fakten zusammenreimen. Um es nochmal zu betonen: Ich bin KEIN Musikkritiker, schon gar kein Experte wie es Manuel so scherzhaft ausdrückte! Ich interessiere mich lediglich für Musik und alles was ich im folgenden Aufsatz erzähle muss kritisch hinterfragt werden. Wie eigentlich alles das im Bereich des Journalismus ausgespuckt wird eigentlich kritisch hinterfragt werden sollte, aber das nur am Rande. Weiters teile ich das Ganze in mehrere Teile auf - ist ja doch ein ziemlicher Brocken das Ganze!




1. Die Wurzeln von Schlager und Volksmusik



Der Schlager wird heute vermehrt mit der Volksmusik in Verbindung gebracht. Umso mehr überrascht es, dass er sich ursprünglich stark vom volkstümlichen und traditionellen Kulturgut distanzierte. Er genoss bei den älteren Semestern sogar einen ähnlich schlechten Ruf wie später der Jazz, die Rockmusik, der Punk und der Gangsterrap. Was nach heutigen Maßstäben vielleicht lächerlich erscheint. Man muss aber auch verstehen, dass Traditionen früher noch viel tiefer in der Identität des einfachen Volks verwurzelt waren. Einer Identität geprägt von Entbehrungen, prekären Herrschaftsverhältnissen und geringer Bildung. Man hatte quasi nichts anderes! Wovon die Jugend natürlich unbedingt weg wollte. Sie strebte nach einem besseren Leben, sog alles in sich auf das neu, anders und interessant war, und machte es sich zu eigen. Nichtsahnend, dass ihnen derselbe Generationenkonflikt später mit ihrer eigenen Nachkommenschaft ins Haus stand...


Lange bevor es diese Begriffe überhaupt gab, entwickelte sich beim einfachen Volk, wie in allen Völkern der Erde, eine eigene Musikkultur die während der Arbeit und zu besonderen Anlässen wiedergegeben wurde. Die Kirche welche ihnen den christlichen Glauben noch näher bringend wollte, wusste das sie mit sakralem Gesang allein keinen Blumentopf gewinnen konnten. So sammelten und schrieben sie Kirchenlieder die sich mehr an der volkstümlichen Musik orientierten. Durch ihre weite Verbreitung war die Kirche somit die erste Institution die einer größeren Öffentlichkeit Musik mit Ohrwurmqualität zugänglich machte. Eine Entwicklung die massiven Einfluss auf die Klassische Musik und insbesonderen die Oper auswirkte. Zur großen Erquickung der feinen Gesellschaft, welche sich damals als einzige einen solch teuren Spaß erlauben konnte.





Aber auch im einfachen Volk gab es über die Jahrhunderte einige erfreuliche Neuerungen. Wie die Bänkelsänger, auch Moritatensänger genannt, welche von Ort zu Ort zogen, die Leute mit Neuigkeiten versorgte und Lieder anstimmte, die zum Teil mit auf Tafeln gezeichneten Illustrationen begleitet wurden. Das bekannteste Beispiel eines Moritatensängers lässt sich in Bertold Brecht's Dreigroschenoper finden (siehe Die Moritat von Mackie Messer).


Im 19. Jahrhundert kam die Operette auf, musikalische Bühnenwerke mit leichten, heiteren Inhalten und eingängigen Musiknummern. Die klassische Pariser Operette, geprägt vor allem durch den Kölner Cellist und Komponist Jakob "Jacques" Offenbach, übte großen Einfluss auf die Wiener Operette aus, zu deren bekanntesten Stücke Die Fledermaus von Johann Strauß II gehört. Apropos: Eines von Strauß' anderen Meisterwerken, der Walzer An der schönen blauen Donau wurde am 15. Februar 1867 in einer eigenen Fassung vom Wiener Männergesangs-Verein uraufgeführt. In einer zwei Tage später vom Neuen Fremdenblatt veröffentlichten Kritik heißt es: "Die Eröffnungsnummer der zweiten Abteilung war ein entschiedener Schlager." Womit dies die erste belegte Verwendung des Begriffs darstellt.






Der bombastische Erfolg der Wiener Operette brachte eine zunehmende Öffnung den bürgerlichen Schichten gegenüber, die allerdings mit den albernen Frivolitäten der Franzosen nichts anfangen konnten und ein mehr volkstümlicheres, heimatverbundeneres Programm forderten, mit mehr lustspielhaftem und sentimentalem Charakter. Damit in Verbindung gestanden haben dürfte auch der Umstand, dass die Operette das Alt-Wiener Volkstheater aus der Mode gebracht hatte, das vor allem durch seine niederschwelligen Komödien glänzte und zu deren bekanntesten Autoren Ferdinand Raimund und Johann Nestroy zählten. Und man muss wohl auch nicht erwähnen, dass hier erste Einflussnahmen von Vertretern des Nationalismus und Antisemitismus zu spüren waren. Um den Wünschen des neuen Publikums gerecht zu werden, fand schließlich eine kleine Reformation der Wiener Operette statt. In Paris hatte man sich währenddessen zusehends dem mehr zirkusgleichen Varieté zugewandt, wie es im berühmten Moulin Rouge, dem Lido oder dem Folies Bergère präsentiert wurde.


Plötzlich wollte die ganze zivilisierte Welt ihr eigenes Varieté haben. In England nannte man sie
Music halls, in den USA Vaudeville - nach einer gleichnamigen Frühform des französischen Chansons im 15. Jahrhundert. Der Variantenreichtum des Varietés gestattete es neuen Formen der Unterhaltung zu blühen und zu gedeihen, wozu in Amerika natürlich auch Ragtime, Jazz, Blues, sowie der Country gehörten. Zwar gab es damals noch kein Internet, geschweige denn leistbare Tonträger, doch wurden bereits gedruckte Notenblätter rege ausgetauscht die man über den großen Teich mitnehmen und dem geschätzten Varieté-Publikum als exotische Spezialität vorspielen konnte. 








Fortsetzung folgt



#FEEDBACK

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Das Mark des Lebens aussaugen
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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.