NEW DARK ODDITIES # 1

Willkommen zurück in der dunklen und verstörenden Welt des Internets

Nach langer Pause kehren wir endlich mit neuen Dark Oddities ins Kollektiv-Magazin zurück, wobei wir uns künftig weniger mit monothematischen Erwägungen aufhalten wollen. Stattdessen präsentieren wir euch Beiträge die wir auf unserer abenteuerlichen Safari in die dunklen und verstörenden Tiefen des Internets aufgegabelt haben. Viel hat sich getan in der Szene und wir freuen uns davon berichten zu können, während wir natürlich auch auf ein paar ältere Projekte, Ereignisse und Phänomene zu sprechen kommen. Lasst uns ganz traditionell mit einem musikalischen Beitrag beginnen...




Chipmunks on 16 Speed


Obwohl der Begriff "Virtuelle Band" heute am stärksten mit den Gorillaz assoziiert wird, zählen Alvin and the Chipmunks definitiv zu den Ersten, auf denen er zutrifft. Die von Ross Bagdasarian in den späten 1950ern kreierte Formation um die animierten Streifenhörnchen Alvin, Simon und Theodore zeichnete sich vor allem durch ihren stilprägenden, hochgepitchten Gesang aus. Die eigentliche Band bestand dabei aus oft wechselnden Musikern, wobei Bagdasarian selbst, bis zu seinem Tod 1972, die Stimmen beisteuerte. 1980 erschien das erste Album mit seinem Sohn Ross Bagdasarian Jr. am Mikrofon, das den irreführenden Titel Chipmunk Punk trug, statt richtigen Punk-Nummer aber vornehmlich Coverversionen bekannter Pophits aus der Zeit beinhaltete.

Besagtes Album wurde 2015 vom kanadischen Musiker Brian Borcherdt aufgegriffen, der eine Version online stellte, die auf 16 Rotationen pro Minute heruntergeschraubt wurde. Einem Tempo bei dem man den Gesang in seiner Originalgeschwindigkeit, den Rest der Musik aber extrem verlangsamt hören kann. Vertreter des Internets haben das Ergebnis stilistisch als Sludge Metal eingeordnet. Und es ist schon beeindruckend, bedenkt man, welch düstere Abgründe sich hinter einer Musik verbergen, die eigentlich für Kinder konzipiert wurde. Hier zu hören ist eine besonders dreckige Coverversion des
Blondie-Hits Call Me...

 




Rapid Eyes



Eine brandneue Webserie die im Juli 2023 begann und eine Weile als absoluter Geheimtipp vor sich hin dümpelte, bevor sich Internet Horror-Spezialist Night Mind von der Sache begeistern ließ  - seine Review gibt's hier - und dafür die Werbetrommel rührte. Die Prämisse an sich ist nicht neu - man denke nur an Petscop oder Creepypastas - aber in Sachen Umsetzung, Ästhetik und Charme hat dieses Projekt doch einiges zu bieten. Der Protagonist findet ein rätselhaftes Videospiel auf seinem Computer, kann sich aber nicht erinnern dieses installiert zu haben. Er lädt uns zu einem Let's Play ein, das uns durch eine Reihe von Liminal Spaces führt, in denen zunächst recht wenig passiert. Doch ist dies nur die Ruhe vor dem Sturm...





The Oldest View / The Rolling Giant



Vor zwei Jahren ist Kane Parsons mit seiner Backrooms-Reihe von einem jugendlichen Nachwuchs-Filmemacher zur absoluten Internet-Sensation avanciert. Während die Welt auf seinen dazugehörigen Spielfilm wartet, der in Zusammenarbeit mit dem selbst kultigen Independent Film-Unternehmen A24 entstehen soll, hat er ein weiteres kleines Meisterwerk nachgelegt: Die dreiteilige Miniserie The Oldest View. Ebnen die ersten beiden Teile noch die Bühne, so lehrt uns der Dritte, The Rolling Giant, erst so richtig das Fürchten. Das Projekt hat auch Matpat von den Film Theorists begeistert, der darüber eine ausgiebige Analyse veröffentlicht hat, siehe hier





Midwest Angelica



Ein weiterer von Night Mind gepushter Geheimtipp (Review hier) ist die Analog Horror-Webserie Midwest Angelica von Angel Tempo. Die Handlung beginnt mit einem Trailer für einen Low budget Science Fiction-Film gleichen Namens der 1991/92 auf VHS-Kassette veröffentlich worden sein soll. Die darin geschilderten Ereignisse drohen sich im Jahr 1999 zu bewahrheiten als ein bösartiger außerirdischer Organismus auf die Erde fällt. Die Regierungsorganisation H.O.M.E (Heavenly Operation Material Examination) stellt sich ihm in den Weg und hat alle Hände voll damit zu tun herauszufinden, was es mit der rätselhaften Midwest Angelica tatsächlich auf sich hat...


#FEEDBACK

von Manuel Waldner 6. September 2025
HOSE RUNTER: DER PODCAST VOR SHOW DE TOILETTE
von Peter.W. 5. September 2025
Das Mark des Lebens aussaugen
von Manuel Waldner 5. September 2025
DR. MICHAEL HOCH & DI DR. NORBERT FRISCHAUF
von Manuel Waldner 23. August 2025
EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.