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LIMINALE RÄUME



In Dark Oddities # 13 berichteten wir unter anderem über die urbane Legende der Backrooms. Dabei stellten wir die Frage, welche Instinkte beim Anblick der Räume getriggert werden, die einen so beunruhigenden Eindruck hinterlassen, dass einem Geschichten über Monster und übernatürliche Phänomene in den Sinn kommen. Mein Verdacht war, es könnte eine konditionierte Erwartungshaltung dahinter stecken, antrainiert durch Horrorfilme in denen mit leeren Räumen, langen Korridoren und einer gewissen Vintage-Ästhetik eine Spannung aufgebaut wird, die im schlechtesten Fall ihren Höhepunkt in einem Jump scare oder Ähnlichem findet. Immer wieder ertappe ich mich bei vergleichbaren Erwartungshaltungen, beispielsweise wenn im Film der Blick des Beifahrers auf den Fahrer fällt, ehe der Wagen seitlich gerammt wird. Oder wenn Leute die Straße überqueren ohne nach Links oder Rechts zu sehen. Ich warte nur darauf, dass sie von einem Bus oder Lastwagen über den Haufen gefahren werden. Da kann die Stimmung noch so romantisch oder sonst was sein.


Früher als ich noch fernsah, landete ich gelegentlich spät nachts beim zappen durch die Programme bei den Schönsten Bahnstrecken der Welt. Einer Reihe bei der man aus dem Führerstand eines Zuges besagte Strecken bewundern konnte, ohne sich durch irgendeine musikalische oder narrative Begleitung beim Genießen der Landschaft stören zu lassen. Das Ganze hätte etwas beruhigendes haben sollen, aus irgendeinem Grund fühlte ich mich aber unter Strom. Nicht selten blieb ich auf dem Programm hängen, getrieben von dem seltsamen Gefühl es könnte jederzeit etwas geschehen, das die Idylle zerreißt - ein Bruch. Jemand springt auf die Gleise. Der Zug entgleist. Irgendwas! Meine Erwartungshaltung hatte schon fast etwas perverses, ein Bewusstsein das mich am Ende dann doch immer den Kanal wechseln ließ.





Ein anderes Beispiel für das Phänomen, das mich erstmals an meiner Überlegung zweifeln ließ, war das Videospiel The Stanley Parabel, von dem ich zuerst dachte es handle sich um einen der üblichen, mit Jump scares gefüllten Horrorschockern. Was mir stattdessen vorgesetzt wurde war ein erstaunlich intelligentes Experiment mit Metaebenen, das mich zwar gruselte, aber auch zum lachen, staunen und nachdenken brachte. Der Humor war es schließlich auch, der mich stutzen ließ. Die aufgebaute Erwartungshaltung durch die unwirtliche Atmosphäre der leerstehenden Büroräume, Gänge und Stiegenhäuser, gepaart mit den minimalistischen Scores die ein sehr mulmiges Gefühl auslösen, hätte durch das Kitzeln meiner Lachmuskeln eigentlich neutralisiert oder zumindest abgeschwächt werden müssen.


Die Anspannung war aber geblieben! Ich war von einem Moment auf den Nächsten wieder voll drin in der Mulmigkeit. Warum? Da war nichts! Nur leere Räume, hier und da ein paar Maschinen die leise vor sich hin surren und piepsen. Es war nicht mal sonderlich dunkel, im Gegenteil: Hinter den Fenstern war alles weiß! Der Erzähler war etwas ominös, ja, aber die Momente in denen er mal nicht sprach waren deutlich gruseliger, fast als wäre man alleine gelassen worden - aber mit was?


 

   

Kurz vor der Veröffentlichung von Dark Oddities # 13 brachte der Youtuber Nexpo, den ich für viele meiner verstörenden Beiträge schon mehrmals herangezogen hatte, ein Video mit dem Titel Disturbing Things from Around the Internet [Vol. 13] heraus. In diesem spricht er unter anderem von Liminalen Räumen, wie den Backrooms. Räume die Übergänge und Schwellen zwischen Orten bilden von denen man eigentlich kommt, zu denen man eigentlich will. Die Existenzen, Geschichten, Emotionen nicht an sich binden, sondern unaufhaltsam an sich vorüberziehen lassen, in einem ewigen Schwebezustand. Räume die vielleicht eine Funktion erfüllen, wie ein Wartesaal oder eine Spielecke, denen ohne entsprechende Benutzer aber etwas wesentliches fehlt. Räume die, wenn sie leer sind, nichts haben an das man sich mental festhalten, mit dem man sich identifizieren kann. Was ein Gefühl der Isolation und Entrückung auslöst.


Ein Gefühl das mir als Nachtwächter auch schon untergekommen ist, wenn auch nicht bewusst. Wenn man die Nacht allein in einem Laden verbringen muss, wo alles auf Verkauf ausgelegt ist, aber niemand da, der etwas kauft, Gedanken oder Emotion äußert. Wo alles unpersönlich, nichtssagend, ja, seelenlos ist. Liminale Räume selbst bieten wenig Inspiration, bilden aber die perfekte Projektions- und Reflektionsfläche, für alles was man an tiefliegenden Ängsten, aber auch Ideen und Fragen mitgebracht hat. Oder für Dinge die man in einen Fokus setzen möchte, wie Bilder oder Skulpturen. Man nehme nur die modernen Museen: Zwischen den Ausstellungsstücken wird genug Platz gelassen, um Ablenkungen zu vermeiden, damit sich die Museumsbesucher besser darauf konzentrieren können. Aber vielleicht auch um freien Raum für Interpretationen und Inspirationen zu lassen.



"Nighthawks" (1942) von Edward Hopper



Bilder mit Liminalen Räumen wurden von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern gefertigt, auch wenn es ihnen selbst nicht immer klar war. Mein persönlicher Favorit ist der US-amerikanische Realist Edward Hopper, zu dessen bekanntesten Werken das Bild Nighthawks von 1942 zählt. In ihm haben wir nicht nur den Liminalen Raum auf offener Straße, wir haben auch die späten Gäste der Milchbar im Innern, die wie in einem Glastank da sitzen und noch ein wenig miteinander plauschen, bzw. leben. Es mutet seltsam an wie nahtlos diese Welten ineinander überzugehen scheinen. Fast ist es, als befänden sich die Nighthawks selbst in einem liminalen Zustand. Als seien es in Wahrheit Gespenster einer lange vergangenen Zeit. Zugegeben, ein etwas abstrakter Gedanke angesichts eines Realistischen Malers!


Die Verwandlung ist in gewisser Weise auch ein liminaler Zustand (man lese dazu auch meinen Artikel Was ist Transformation Fiktion?) In entsprechenden Geschichten geht es häufiger darum sich mit neuen Gegebenheiten zu arrangieren und möglicherweise mit einer neuen Rolle anzufreunden, die einem das Schicksal auferlegt hat. Es gibt aber auch Menschen die in der Verwandlung selbst einen Reiz finden, sei es aus einer Begeisterung für das Übernatürliche, dem Wunsch nach Wachstum über die eigenen Limitationen hinweg oder schlicht aus einem Fetisch heraus. Kann es sein, dass in der Loslösung von festen Mustern, von allem Identitätsstiftendem - das in liminalen Räumen ja auch fehlt - ein Hauch von Wildnis, von Freiheit steckt? Ähnlich dem Kick den man empfindet, wenn man sich zu weit über einen dunklen Abgrund lehnt? Dem Gegenüber steht der Verfall. Wenn der Körper sich wandelt, aber zu einem Gefängnis für den Verstand wird. Zu einem liminalen Raum, wo man nichts weiter tun kann, als auf den Tod zu warten. Während über den Lautsprechern leise eine fröhliche, aber nichtssagende Melodie vor sich hin dudelt...     




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