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KRIMIS UND ICH (REPORTAGE)


In meinem Hanuschplatz-Text Columbo und der Schnurrbart-Shatner (siehe hier) äußere ich mein Unverständnis darüber, wieviele Storyideen man eigentlich für einen Fernsehkrimi verbraten kann. Der Text erschien 2016/17 in der mosaik - Zeitschrift für Literatur und Kultur und wurde von den Leser*innen gut aufgenommen. 2018 zog ich nach Wien wo ich mich unter anderem als Komparse verdingte, was mir auch die eine oder andere Rolle als Polizist in einem Fernsehkrimi einbrachte. Hat diese Erfahrung etwas an meiner Meinung geändert? Jein!


Ich habe gelernt, dass es sehr wohl Spaß macht und irrsinnig interessant ist an einem Fernsehkrimi mitzuarbeiten. Eine Erfahrung die ich nicht missen möchte! Auch gehört einmal der enorme Aufwand gewürdigt der sich da angetan wird, die unglaubliche Professionalität die an den Tag gelegt wird, damit ein Rädchen ins andere greift. Die Freude an der Arbeit und das Engagement jedes Einzelnen, auch bei den widrigsten Umständen. Trotzdem würde ich lügen wenn ich behauptete, dass mir das Endergebnis immer gefällt.


Um fair zu bleiben: Fernsehkrimis waren noch nie mein Bier! Dass ich mich zu Beginn überhaupt damit beschäftigt habe liegt weniger am grundsätzlichen Interesse, als daran, dass es eben ein Teil unserer Kultur ist. Gerade wir Österreicher neigen sehr zum Morbiden und Makabren. Ein blutiger Mordfall, das ist es! Wenn auch etwas Schmäh und Sex dabei ist, umso besser!  Und ja, vom technischen Standpunkt aus gesehen sehe ich auch selten Grund zur Beanstandung. Es gibt zwar oft kleine Fehler, die fallen einem aber meist auch nur auf wenn man danach Ausschau hält oder über Insiderwissen verfügt, was bestimmte Abläufe betrifft die so in der wirklichen Welt nicht vorkommen - die Kolleg*innen von der Exekutive können davon ein Liedchen singen!


An meinen Statements aus dem Text
Columbo und der Schnurrbart-Shatner ändert das alles aber nichts. Auf der persönlichen Ebene halte ich Krimis für langweilig, weil im Grunde stets dasselbe Programm abgespielt wird. Und selbst wenn das Schema F einmal aufgebrochen wird, das Spiel bleibt immer dasselbe: Spannung wird aufgebaut und man fiebert dem Höhepunkt entgegen, wo man entweder Erlösung findet oder als trauriges Elend zurückbleibt. Insofern haben Krimis etwas von Masturbation.


An sich auch okay, sollen sich die Leute ruhig emotional einen von der Palme wedeln. Aber wo bleibt der Mehrwert? Was nehme ich mit? Gut, Fernsehkrimis neigen dieser Tage sehr wohl dazu politisch zu werden, heiße Eisen anzufassen und Problemstellungen in unserer Gesellschaft zur Sprache zu bringen die noch immer Thema sind. Das kann man ihnen zugute halten wenn man will! Auch da es sich bei ihnen, zumindest theoretisch um die Art Programm handelt, deren Zielgruppe nicht selten betroffen ist oder gar Verursacher dieser Missstände. Theoretisch! Praktisch schaut's leider so aus, als wollte die Zielgruppe lieber in Ruhe ihren Krimi schauen und ihrer trübsinnigen Realitätsflucht frönen, statt sich mit solchen "tiefgründigen Inhalten" auseinander zu setzen.




Gute Krimis - die es sehr wohl gibt - laden nicht nur zum mitfiebern, sondern mitdenken ein! Einer der Gründe warum ich Agatha Christie so mag, auch wenn ihre Geschichten über die Jahre soviele Nachahmer gefunden haben, dass sie leider schon als  abgedroschen gelten. (Auch James Cameron dürfte das Problem kennen, das aber nur am Rande!) Der routinierte Fernsehkrimi-Seher kennt die meisten Schmähs schon in und auswendig, er denkt nicht mehr groß über die Handlung nach. Viel interessanter sind für ihn die Charaktere. Was man schon allein daran erkennt, dass es meist die handelnden Personen sind über die mir Leute erzählen, selten die Fälle selbst.


Als langjähriger Autor weiß ich, dass Plots die sich auf eine vernünftige Charakterzeichnung stützen noch die interessanteren sind. Da die meisten Krimis in ihrem Aufbau aber sehr pragmatisch und zielorientiert sind bleibt oft nur wenig Zeit dafür und es wird auf die üblichen Stereotypen und ihre Variationen zurückgegriffen: Die toughe Karrierefrau und alleinerziehende Mutter die dem Feminismus alle Ehre macht. Der brummige Kommissar der zum übermäßigen Alkoholkonsum neigt und mehr Altlasten im Gepäck hat als ein Giftmülltransporter. Der schrullige Pathologe der mit seinen Leichen redet, etc. Einziges wirkliches Alleinstellungsmerkmal ist oft die übergeordnete Prämisse der Reihe: In welchem Milieu spielt sich das Ganze ab? Verfügt eine der handelnden Personen über außergewöhnliche Fähigkeiten oder eine besondere Herkunft?
 

Ein weiterer Lieblingskrimiautor von mir ist Wolf Haas, der es geschafft hat mit seinen Simon Brenner-Romanen einen originellen Charakter zu zeichnen der weder sonderlich pragmatisch, noch stereotyp ist, sondern ein tragischer Held für den scheinbare Nebensächlichkeiten schicksalhafte Konsequenzen haben können. Alles an diesen Büchern ist interessant: Die Sprache mit welcher der Ich-Erzähler die Ereignisse wiedergibt und quasi personifiziert. Die bunten Charaktere, ihr oft überraschendes Verhältnis zueinander. Die Art wie die Dinge plötzlich aus den Fugen geraten: Im einen Moment lacht man noch, im nächsten bangt man bereits um das Leben vom Brenner.

Die Integrität dieser Geschichten ist nicht vom eigentlichen Fall abhängig. Der Brenner wäre gewiss auch dann interessant zu lesen, wenn er mit Freunden auf Urlaub fahren und sich am Lago di Garda eine junge Italienerin anlachen würde. Was man von den meisten Fernsehkommissaren nicht behaupten kann. Sofern sie keine Familie haben um die sie sich kümmern müssen oder eine Liebesbeziehung die es zu pflegen gilt, wirkt es oft, als hätten sie neben der Arbeit kein eigenes Leben. Nur fade Lückenfüller: Fußball, Autos, Gesangsverein... Mag auch seine Berechtigung haben, aber warum soll ich um einen Charakter bangen der im Grunde seines Wesens nur eine Funktion erfüllt, die allzu leicht von jemand anderem übernommen werden kann? Und oft auch wird! 



Meiner Erfahrung nach haben Krimis die etwas experimentierfreudiger sind und aus den üblichen Beschränkungen ihres Genres ausbrechen die besten Chancen etwas aus sich zu machen. Erlaubt mir ein Beispiel aus der Welt des Hollywood-Blockbuster-Kinos: Die MCU (Iron Man, Hulk, Thor usw) hat ihrem Rivalen, der DCEU (Man of Steel, Wonder Woman, Aquaman usf) gegenüber einen großen Vorteil. Jeder ihrer Filme kann zwar dem Superhelden-Genre zugeordnet werden, bedient aber in sich auch ein weiteres Genre. Ant-Man: Heist Movie. Guardians of the Galaxy: Space opera. Spider-Man: Coming-of-Age. Auf diese Weise bleibt die Filmreihe relativ frisch und übersättigt nicht den Markt.

Als großer Fan britischer Produktionen begeistert mich natürlich vor allem
Sherlock. Eine Serie die nicht nur das Krimi-Genre bedient, sondern auch Elemente von Drama, Komödie, Mystery, Psycho- und Spionagethriller, Horror und mehr in sich vereint. Man könnte sogar argumentieren, dass sie designweise Spuren von Science-Fiction und Fantasy enthält. Das Stichwort lautet: Abwechslung. Nicht zugunsten der übergeordneten Storyarc versteht sich. Aber immerhin soweit, dass jede Folge für sich selbst stehen kann, ihre eigene Identität hat. Die Mischung macht's!




Was ebenfalls aufgebrochen werden sollte ist das Image der Krimiserie als Propaganda-Instrument der Polizei. Man mag von der Exekutive halten was man will, aber ich sehe das gerade dieses Thema seit dem Tod von George Floyd und dem daraus resultierenden Aufschwung der Black Lives Matter-Bewegung in den USA deutlich an Bedeutung zugelegt hat. Seitdem gibt es zahlreiche Stimmen die sich dagegen aussprechen das Bild von gewaltbereiten Polizisten und Kriminalbeamten in Filmen und Serien weiter zu glorifizieren. Von jenen die sich "im Namen der Gerechtigkeit" allzu gerne über das Gesetz stellen, ohne dafür irgendwelche Konseqenzen zu erwarten. Ergebnis dieser Kritik war unter anderem, dass die seit 1989 laufende Reality-TV-Serie COPS, die Polizisten auf ihren Einsätzen begleitete, eingestellt wurde.


Manche werden sagen: Das spielt sich in Amerika ab und hat mit uns nicht das geringste zu tun! Es gibt allerdings auch hier immer wieder sogenannte "Einzelfälle" - in den USA nennt man sie Bad Apples - die von den Medien aufgegriffen werden, man sollte die Sache also nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es könnte auch bei uns schnell Thema werden! Ich spreche mich keineswegs dafür aus die Polizei in ihrer Grundsätzlichkeit zu verteufeln. Nur dafür etwas kritischer und konsequenter zu sein, und zu zeigen, dass Polizisten - in mehrfacher Hinsicht - auch nur Menschen sind. Nicht bloß im Sinne von "emotional" und "fehlerhaft", wie es in vielen Krimis bereits der Fall ist. Was ich meine ist: individueller!


Was uns als Menschen einzigartig macht ist nicht der Umstand, dass wir einer Gruppe - einem Amt, einer Nation oder Religion - angehören, sondern der Weg den wir als Individuen einschlagen. Die Fehler die wir machen, wie wir damit umgehen, daraus lernen, die Konsequenzen die wir tragen oder auch nicht. Die Entscheidungen die wir treffen und unsere Beziehung zu anderen, manchmal auch fremden Personen. Ein guter Charakter ist nicht bloß teil einer Geschichte, er HAT eine Geschichte und diese sollte es wert sein danach zu fragen. Ob man die Zeit findet sie einzuarbeiten oder nicht ist nebensächlich, solange man in der Lage ist zu vermitteln, dass sie da ist.


Um die Prinzipien von Sir Robert Peel (1788 - 1850) zu zitieren, dem Begründer der modernen Polizeiarbeit im Vereinten Königreich - wo die Beamten nach ihm "Bobbies" benannt wurden:
"To maintain at all times a relationship with the public that gives reality to the historic tradition that the police are the public and that the public are the police, the police being only members of the public who are paid to give full-time attention to duties which are incumbent on every citizen in the interests of community welfare and existence." 


Es geht nicht darum "bürgernah" zu sein - Polizisten SIND Bürger! Bürger allerdings die es sich zur Aufgabe gemacht haben Anderen zu helfen und dafür ein hartes Training auf sich genommen haben. Spricht ihnen das die Fähigkeit ab mehr zu sein als ein Mitglied der Exekutive? Ein Interessantes Leben außerhalb ihres Berufsfeldes zu führen, sich mit spannenden Dingen zu beschäftigen die nicht mit Mord und Todschlag zu tun haben? Nein! Und diese Dinge sind auch wichtig!


Es muss um etwas gehen, etwas auf dem Spiel stehen das Bedeutung hat! Umso stärker und lebensbejahender es ist, desto tragischer und welterschütternder der Verlust. Der Tod eines Kindes mag uns zutiefst schockieren, ist als Motiv aber inflationär gebrauchte Effekthascherei. Der Tod eines Kindes das wir kennen, das uns angelächelt und einen Witz erzählt hat, das eine Geschichte und eine Persönlichkeit hat, trifft uns viel tiefer und nachhaltiger. Es schmerzt darüber nachzudenken, dass man dieses Lachen nie mehr hören wird. Darüber nachzudenken, was aus dem Kind noch hätte werden können. Darüber nachzudenken, wie einfach es für den Täter war etwas zu zerstören, dass so stark, richtig und strahlend schien. Eben war es noch da. Und ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, ist es vorbei...

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