DIE GESCHICHTE DES SCHLAGERS (2)

Source: Christine Görner und Rudolf Lenz in „Mein Mädchen ist ein Postillion“ von Rudolf Schündler aus dem Jahr 1958. Foto: Betafilm




2. Schellack, Rundfunk, Heimatfilm



Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich eine Unterscheidung zwischen zwei Sorten von Musik: U (Unterhaltungsmusik) und E (Ernste Musik). Diese Unterscheidung spielte vor allem mit der Erfindung der Schallplatte, des Radios und der Entstehung von Verwertungsgesellschaften wie der späteren AKM oder GEMA eine wichtige Rolle. Zur E-Musik gehörten Beiträge mit künstlerischem Anspruch wie die Klassische Musik, die höher bewertet und damit besser vergütet wurden als die U-Musik. (Noch heute erhalten klassische Musikstücke, wie sie beispielsweise auf Ö1 laufen, höhere Tantiemen. Allerdings befinden sich diese auch nicht in einer "Rotation", werden also nicht so häufig gespielt, weswegen beispielsweise Vertreter der Pop und Schlagermusik weitaus besser aussteigen.)


Durch den Siegeszug des Grammophons nach Ende des Ersten Weltkriegs und insbesondere während der Goldenen Zwanziger Jahre, kristallisierte sich der Markt der Unterhaltungsmusik als äußerst rentabel heraus, zumal sich zu klassischer Musik nicht wirklich flott tanzen ließ. Und gerade das Tanzen war für die Jugend von damals das Größte. Die ersten Schlager kamen auf den Markt und drangen mit Betriebnahme der Rundfunkanstalten bald in jeden Haushalt vor. Parallel dazu erlangte auch das französische Chanson weiter an Beliebtheit. Aus dem Varieté heraus entstand zudem das Musical, welches über den New Yorker Broadway und das Londoner West End aus zunehmend von sich hören machte.





Derweil entwickelte sich in Amerika, beziehungsweise aus den Bars und Bordellen New Orleans' heraus, der Jazz, welcher sich über die Grenzen Louisiana's weiterformte und bald auch über den großen Teich zu uns rüber schwappte. Hier warf er das ganze, ohnehin schon problematische Konzept von U & E vollends über den Haufen, denn Jazz ist sowohl anspruchsvoll als auch unterhaltsam. Mehr noch, entstand mit Jazz eine der ersten eigenen Jugendbewegungen im deutschsprachigen Raum, die mit auffälliger Kleidung und gewagten Tanzbewegungen gegen das strenge Sittenbild des langsam aufkommenden Nationalsozialismus rebellierten. Parallel dazu war der Schlager auch vollends bei der älteren Generation angekommen und lief Gefahr das Monopol auf die Jugend an die Amerikaner abgeben zu müssen. 


Das Problem verflüchtigte sich zunächst mit dem Aufstieg der Nazis, die Jazz zu einer entarteten Musik erklärten und jeden harscht bestraften, der es wagte ihn auch nur zu hören. Der Schlager hingegen, wie auch die Volksmusik,  wurden als Teil der deutschen Kultur anerkannt und zu Propagandazwecken genutzt, unterliefen allerdings einer entsprechende Zensur. Viele einstige Schlagerstars wie die Comedian Harmonists mussten das Land verlassen oder wurden später in KZs brutal ermordet. Mit den albernen Frivolitäten vergangener Tage wurde aufgeräumt, was gespielt wurde hatte sauber und anständig sein. Gleichzeitig wurden aufkeimende Stars wie Zarah Leander und Heinz Rühmann eingespannt. Als bekanntester Schlager dieser Zeit gilt Lale Andersen's bereits 1915 getextetes "Lili Marlen" welches 1942 verboten wurde, als bekannt wurde, dass die Sängerin Kontakte zu Juden in der Schweiz pflegte.





Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und durch die massive Präsenz der alliierten Truppen in den Besatzungszonen, kehrte die Jugend dem Schlager erneut den Rücken um sich wieder mehr dem Jazz zu widmen, der sich in der Zwischenzeit mit dem Bebop massiv weiterentwickelt hatte. Udo Jürgens, damals noch mitten im Studium, trat regelmäßig im klagenfurter Café Lerch als Jazzmusiker auf, spielte auf Wunsch des Publikums aber auch gerne volkstümliches Liedgut. 


Die Vertreter von Schlager und Volksmusik wollten von ihrem problematischen Image weg und kehrten gemeinsam zu ihren humoristischen Wurzeln zurück. Eine Vielzahl der in den Nachkriegsjahren entstandenen Schlager scheinen tatsächlich einfach Faschingslieder zu sein. Gleichzeitig machten sie sich die Nostalgie von einer guten alten Zeit zunutze, die sich in sentimentalen Balladen, schwungvollen Marschtakten zum Mitklatschen und zum Schunkeln anregenden Seemannsliedern wiederspiegelte.


Zudem hatten sie einen großen Trumpf im Ärmel: Den Heimatfilm. Die heile Welt in der schönen Natur der Alpen, in denen Liebe, Freundschaft und Familie noch was wert sind. Wo der Zweite Weltkrieg und der Holocaust scheinbar niemals stattgefunden haben. Leichte Unterhaltung mit gutem Schmäh, verklärtem Blick und bewegender Musik, die man so leicht nicht aus dem Ohr bekommt. Kurz: Ein Filmgenre das es dem einfachen Deutschen/Österreicher erlaubte wieder Stolz auf sich und sein Land zu sein. Und genau da lag in den Augen vieler das Problem!


Man kann argumentieren, dass die Musik aus Amerika nicht nur ihrer beschwingten Natur wegen so gut ankam, sondern auch weil sie der ehrlichen Not und dem Lebenshunger der versklavten afroamerikanischen Bevölkerung entstammt, die noch immer in jedem Akkord mitschwingt. Der Nachkriegsschlager hingegen wischt seine Vergangenheit beschämt vom Tisch, eine Vergangenheit in der unschuldige Menschen verfolgt und auf grausamste Art und Weise getötet wurden, und ersetzt sie durch eine rosarote Brille in der eh alle lieb und nett zueinander sind. Obwohl es natürlich Schnittmengen zwischen den Musikstilen gab, war der zunehmende Generationenkonflikt nur eine Frage der Zeit!      

 





Fortsetzung folgt

#FEEDBACK

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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.