I AM SOPHIE (ARG REVIEW)

Im dritten Teil unserer Reihe DARK ODDITIES sprachen wir bereits über sogenannte ARGs, kurz für Alternate Reality Games, auch Unfiction genannt. Eine relativ junge Kunstform die auch gerne als Marketingtool verwendet wird. Ein offenes Spiel, eine Spurensuche in der digitalen sowie analogen Welt, eine aufregende Schnitzeljagd durch alle Medien die meist einem geheimnisvollen, nicht selten gruseligen Narrativ folgt.


Ein ARG das Anfang letzten Jahres startete und alle Erwartungen übertraf war....





Am 11. Januar 2020 wurde auf dem Channel I am Sophie ein Trailer und wenig später ein erster Vlog der titelgebenden Protagonistin Sophie gepostet. Eine verwöhnte, reiche Milliardärstochter die mit ihrer Schönheit, ihrem Reichtum und Einfluss prahlt, die sich einfach selbst zur neuen Königin des Internets gekrönt hat, eine Influencerin par excellence. Soweit nichts Ungewöhnliches! Derlei Channels gibt es zuhauf in den Weiten des World Wide Web.


Ihnen gegenüber stehen die "Aasgeier", Youtuber denen jedes Mittel recht ist, um an Likes zu kommen und die daher auch nicht davor zurückschrecken Leute wie Sophie durch den Kakao zu ziehen. Dabei ist ihnen nicht selten egal welche Shitstorms sie auslösen, wieviel Hass durch ihre Fans transportiert wird und auch einfache Content Creator, die nicht so reich und schön sind wie Sophie, in ihren Gefühlen verletzt. Einer dieser YouTuber ist Leon Lush, der sich Ende Februar 2020 das Video von Sophie vorknöpfte, nachdem ihn ein gewisser "Ben" darauf aufmerksam gemacht hatte. Sein Review von I am Sophie schlug ein wie eine Bombe, die Hasskommentare seiner Anhängerschaft folgten auf den Fuße.


Kurze Zeit später veröffentlichte Sophie ein Video als Antwort auf den Backlash, doch zeichnete sich ab, dass etwas nicht stimmte. Nicht nur wurde Leon Lush kein einziges Mal erwähnt, es machte auch den Eindruck als sei das Ganze schon lange vorher aufgezeichnet worden - als hätte Sophie diese Art Backlash bereits erwartet. Damit nicht genug tauchte am Ende eine scheinbar wahllose Webcam-Aufnahme von einer jungen Frau namens Lara auf. Als sie Sophie und ihre Freundin Plum ausfindig machen, geschehen mehr und mehr verstörende Dinge: Das seltsame Verhalten aller Beteiligter, plötzlich auftauchende Glitches und Found footage-Material, Schatten und Geräusche im Hintergrund, unerklärliche Vorfälle in verschiedenen Räumen, böse Überraschungen... bis Sophie schließlich zum Opfer einer brutalen Heimsuchung, Entführung und Folter wird.


Dem folgte eine neue, bizarr-verzerrte Version des ersten Videos, diesmal mit Lara an Sophie's Stelle, erneuten Glitches, spiegelverkehrter Schrift und Einsprengsel der zuvor hinterlassenen Hasskommentare. Den Lush-Fans wurde buchstäblich ein Spiegel vorgehalten und spätestens jetzt hatte es selbst der Letzte überrissen: Dies war ein ARG! Leon Lush himself wurde von seinen aufgebrachten Fans beschuldigt von Anfang an Teil des Projekts gewesen zu sein und sie alle eiskalt ausgenutzt zu haben. Was von den Machern der Serie noch unterstützt wurde: Sein Twitter-Account war zB der Einzige dem der I am Sophie-Account noch folgte und "Ben" war auch der Name von Sophie's Boyfriend und Kameramann gewesen. Die Sache war offenbar von langer Hand geplant worden um Leuten wie Lush eine Lektion zu erteilen, die den Hass im Netz mit ihren reißerischen Inhalten nur fördern.


Überhaupt nahmen die I am Sophie-Videos mehr und mehr Bezug auf den durchaus reelen, digitalen Horror der von Plattformen wie Youtube ausgeht. Der die Menschen verändert, in die Depression treibt und wirkliche Kreativität zugunsten von etwas unterdrückt das in der Masse ankommt. So erfahren wir, dass auch Lara einst eine einfache, kleine Youtuberin war, ehe auch sie sich korrumpieren ließ. I am Sophie ist mit Abstand eines der besten ARGs seit Langem und gewann beim Rhode Island International Film Festival 2020 in der Kategorie Best Television Pilot/Webisode.


Youtube-Channel Inside a Mind hat sich dem Thema en detail angenommen:


 

#FEEDBACK

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Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.