DRITTER WELTKRIEG - EINE EINSCHÄTZUNG

DIE ZUKUNFT DER WELT - PROF. DR. HEINZ GÄRTNER

Prof. Dr. Heinz Gärtner ist Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte mit Schwerpunkt internationale Beziehungen. Er lehrt an der Universität Wien und ist Senior Fellow am Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip).


Gärtner beschäftigt sich in seiner Forschung mit Fragen der Neutralität, Sicherheits- und Friedenspolitik sowie den transatlantischen Beziehungen. Er hat zahlreiche Fachpublikationen veröffentlicht, ist regelmäßig als Experte in den Medien präsent und wirkt in internationalen Gremien zur Sicherheits- und Außenpolitik mit.

Das Gefühl kennt inzwischen jede*r: Die Nachrichtenlage ist explosiv, der Ton aggressiv, die Worte schriller. Von allen Seiten ist von Aufrüstung die Rede, von Sicherheitsstrategien, von neuen atomaren Drohkulissen. Und die Angst vor einem Dritten Weltkrieg? Die ist längst salonfähig geworden.

Inmitten dieser brodelnden Weltlage gibt es Stimmen, die nicht mit dem Säbel rasseln, sondern mit klarem Blick analysieren. Eine davon gehört dem Politikwissenschaftler Heinz Gärtner. Sein Appell: Nicht mitmarschieren – nachdenken. „Es hat schon einmal eine Welt gegeben, in der niemand einen Krieg wollte – und am Ende alle mittendrin waren“, warnt er.

Gärtner spielt auf das berüchtigte „Hineinschlafwandeln“ in den Ersten Weltkrieg an. Was damals durch nationalistische Kurzsichtigkeit passierte, droht heute durch militärische Rhetorik. „Fast nur noch Militärexpert*innen kommen zu Wort. Friedensforschung? Fehlanzeige.“ Und dann dieser Satz: „Über Nuklearwaffen wird inzwischen geredet, als wären es handelsübliche Raketen.

Die Welt sei keineswegs multipolar, sagt Gärtner. Vielmehr sei sie schief. Mächte mit Atomwaffen bestimmen den Ton – allen voran die USA, China und mit Abstrichen Russland. Letzteres zwar wirtschaftlich geschwächt, aber noch immer gefährlich. Und Europa? Europa rüstet auf. Schweigt. Und duckt sich weg.

Was Gärtner fehlt, ist politischer Mut. Und Fantasie. Denn statt Diplomatie wiederzubeleben, wie in den 1970er-Jahren bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, dominiert heute martialisches Denken. „Damals sprachen alle von gemeinsamer Sicherheit. Heute spricht man von Gegner*innen, Bedrohungen, Herausforderungen. Das hat System.

Gärtner fordert eine Rückkehr zum Prinzip der „unteilbaren Sicherheit“. Heißt: Wer sich selbst schützt, muss auch fragen, wie sich andere damit fühlen. „Wenn ich eine Rakete stationiere, muss ich bedenken, ob das jemand anderen provoziert.

Gerade in Bezug auf die Ukraine sieht er verpasste Chancen. Statt auf diplomatische Ansätze zu setzen, bereite sich Europa auf eine neue Teilung des Kontinents vor. „Ein neuer Eiserner Vorhang, der sich von der Arktis bis ans Schwarze Meer zieht – das ist keine Dystopie, das ist Planungsgrundlage“, warnt er.

Die Parallelen zur Kubakrise 1962 seien offensichtlich. Auch damals wurde die andere Seite nicht mitgedacht. Die Sowjetunion stellte Raketen auf, die USA drohten mit Krieg. Erst in letzter Sekunde wurde abgerüstet. „Wir haben mehrfach nur dank besonnener Militärs keinen Atomkrieg erlebt“, erinnert Gärtner.

Er kritisiert auch das europäische Schweigen angesichts der Aufrüstung Chinas und der Eskalationen rund um Taiwan. Statt eine vermittelnde Rolle einzunehmen, lasse man sich in Lager drücken. „Es gibt eine Umfrage: 60 Prozent der EU-Bürger*innen wollen im Falle eines USA-China-Konflikts neutral bleiben. Warum nicht Regierungen, die das umsetzen?

Dabei sei Neutralität kein Rückzug, sondern eine Strategie. Ein Spielraum. Ein Signal. „Österreich 1955 war ein Erfolgsmodell“, sagt Gärtner. Und erinnert daran, dass selbst 1907 der britische König dem österreichischen Kaiser Franz Joseph vorgeschlagen hatte, sich neutral zu verhalten. „Hätte er das getan, vielleicht wäre es nie zum Ersten Weltkrieg gekommen.

Gärtner sieht Europa in einer ähnlichen Rolle wie damals. Und macht deutlich, dass es schon einmal besser war: beim Iran-Atomabkommen 2015 etwa. „Drei europäische Staaten haben das verhandelt. In Wien. Ein Durchbruch. Und dann kam Trump – und Europa war wieder still.

Statt einer eigenen Außenpolitik gibt es Empörung über Trump, über Putin, über Xi Jinping – aber kaum Initiative. „Trump hat Nordkorea mit dem Atomknopf gedroht, Europa hat zugeschaut. Er hat den Nahost-Friedensplan zerpflückt, Europa hat geschwiegen. Und jetzt wundert man sich über die eigene Bedeutungslosigkeit.

Für Gärtner ist das größte Versäumnis nicht die militärische Schwäche Europas – sondern die politische. „Es braucht keine Präsidentin für Europa. Es braucht nur jemanden, der Ideen hat. Und den Willen, sie umzusetzen.

Seine Analyse ist messerscharf, seine Forderung glasklar: Nicht mehr länger die Rolle der Zaungäste spielen, während die Welt aufrüstet. Europa hat Geschichte gemacht – es kann es wieder tun. Wenn es sich endlich traut.

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Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.