CHARAKTERE - STRATEGIEN GEGEN DIE BLOCKADE



Wie viele AutorInnen habe auch ich mich schon mal an Romanentwürfen versucht und bin daran gescheitert. Oft liegt es einfach daran, dass man der Handlung mehr Liebe zukommen lässt als den eigentlichen Charakteren. Was immer schlecht ist, denn gerade die handelnden Figuren, ihre Probleme, Schicksale und Interaktionen machen eine Geschichte erst richtig spannend. Nicht jeder beherrscht die Charakterzeichnung. In meinem Fall kam erschwerend hinzu, dass ich ursprünglich aus der Lyrik komme, wo sowas nicht zwingend gefragt ist. 


Hier kam mir der Rat von KollegInnen zugute: Wenn ich vernünftige Charaktere erschaffen will, werde ich mich um eine halbwegs brauchbare Biografie bemühen müssen! Wer die Umstände kennt unter denen Menschen aufgewachsen sind, ein Gespür für kulturelle und erzieherische Prägung entwickelt, im richtigen Leben Leute kennt die aus jenen Umfeldern stammen und ganz einfach Fragen stellt, tut sich damit immens leichter. Es hilft aber auch sich etwas zu suchen, das uns zu einem Charakter inspiriert, zB Musiknummern die "Kopfkino" auslösen, ein emotionales Gerüst schaffen oder schlicht ein Biotop bilden in dem die entsprechenden Persönlichkeiten keimen können. Wer sich um mehrere Charaktere bemüht ist dabei gut beraten sich derselben Interpreten oder zumindest desselben Genres zu bedienen, einfach weil man auch die Welt in der sich diese Figuren bewegen im Kopf behalten muss und sich so leichter tut sie zu vereinen, einen Common Ground zu finden. 


Wer sich generell mit Charakterzeichnungen schwer tut, dem/der seien hier ein paar Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, die das Üben erleichtern (Links im Titel):






Fake Name Generator





Dieses hilfreiche Tool ist eigentlich dafür gedacht Fake-Identitäten zu generieren, die einem das anonyme Herumstromern im Netz erleichtern sollen. Wir können es aber auch dafür nutzen einen Charakter zum Üben zu schaffen, ohne uns lang und breit den Kopf über Einzelheiten zu zerbrechen. Im Grunde ist alles da: Name, Adresse, Geburtstag, Lieblingsfarbe, Automodell etc. Für den Moment ist es nicht nötig wählerisch zu sein, es geht schlicht darum das Vorhandene zu nehmen und etwas "Detektiv" zu spielen. Wir nehmen die uns gegebenen Informationen und machen uns, davon ausgehend, ein Bild von unserer Figur. Wobei wir entgegen sonstiger Gepflogenheiten auch ein bisschen mutmaßen und korrigieren dürfen, wenn es nötig wird.


Ich habe hierfür schon mal eine Person generiert: Dieter Berg (70) aus Tessenberg. Geben wir die uns zur Verfügung stehende Adresse in Google Maps ein, entdecken wir, dass es sich dabei scheinbar um ein leeres Grundstück handelt. Was nicht ungewöhnlich ist, immerhin haben wir es hier mit einer Fake-Identität zu tun. Hier dürfen wir zum ersten Mal schummeln und übersiedeln ganz frech in das gegenüberliegende Haus.





Von hier aus können wir uns vollends austoben, den uns gegebenen Raum betrachten und beginnen Fragen zu stellen. Fragen sind bei der Charakterentwicklung sehr wichtig! Hat Dieter schon immer hier gelebt? Hat er als Kind im Tessenberger Bach gebadet? Ist er in ebendiese Volksschule gegangen? Hat er Liebesbriefe in diesen Postbriefkasten geworfen? Hat der Josef Bachmann ihm die Wohnung ausgemalt? Sind die beiden Freunde? Wer mag kann auch Recherchen über den Ort anstellen und erfährt, dass Tessenberg zur Gemeinde Heinfels in Osttirol gehört, auf 1340 m Seehöhe liegt und 28,5 Kilometer von Lienz entfernt ist.


Die vom Fake Name Generator zusammenfabrizierten Berufe sind meist vollkommener Quatsch, in dem Fall: Fashion Designer bei Cougar Investment. Wir dürfen also nochmal schummeln und stellen uns die Frage, was der Dieter Berg wohl wirklich beruflich gemacht hat, bevor er in seine verdiente(?) Pension gegangen ist. Dabei gilt: Immer zuerst von dem ausgehen was an Informationen da ist, bevor wir anfangen allzu kreativ zu werden. Zum Beispiel: Dieter Berg hat 1965 eine Lehre als Maler beim Großvater vom Josef Bachmann gemacht. 

Dieter Berg wurde am 28. Februar 1951 geboren. Das heißt, wenn wir ein bisschen rechnen, können wir seine Zeit beim Bundesheer auf ca. das Jahr 1969 datieren. Zivildienst können wir ausschließen, da es diesen in Österreich erst seit 1975 gibt. Wehrdiener werden selten dort stationiert wo sie zuhause sind, um etwaige Bevorzugungen zu vermeiden. Man hat ihn daher wohl eher nicht in die gerade mal eine Stunde entfernte Haspinger Kaserne (seit 1967) nach Lienz geschickt, sondern gleich nach Innsbruck. 





This Person Does Not Exist





Wie genau schaut er eigentlich aus, unser Dieter Berg? Das ist auch eine Frage die wir nicht vernachlässigen sollten. Hierfür gibt es zum Glück auch eine Lösung, nämlich die erstaunliche Seite This Person Does Not Exist. Wie der Name schon sagt generiert sie erstaunlich echt aussehende Fotos von Personen die nicht existieren, sondern computergeneriert wurden, die wir also locker für unseren Versuch heranziehen können. Die Seite einfach so lange reloaden bis ein passendes Bild zustande gekommen ist. Und da haben wir ihn auch schon: Dieter Berg, gelernter Maler aus Osttirol, Ende der 1960er in Innsbruck stationiert und vielleicht sogar dorthin übersiedelt. Wo er, ausgehend von seinem Erscheinungsbild, einen scheinbar lukrativeren Job angenommen hat.


Von hier aus kann man sich komplett austoben, gegebenenfalls noch eine zweite Fake Identität schaffen und Szenarien überlegen unter denen die beiden Charaktere miteinander interagieren. Wiederholen wir also das Prozedere von eben und generieren Dieter's bessere Hälfte: Ute Berg.





Um Ute auf das passende Alter und die entsprechenden Gegebenheiten anzupassen, können wir uns der erweiterten Funktionen des Fake Name Generators bedienen, die uns erlauben das ungefähre Alter, die genauere Lokalität und sogar ihr Genderspektrum genauer zu bestimmen. Den Namen Traugott ignorieren wir, da sie bereits einen Mädchennamen hat, nämlich Baader. Alternativ kann ihr Mädchenname auch Traugott lauten oder sie war schon mal mit jemandem verheiratet der Traugott hieß, was letztlich nebensächlich ist, da sie als Dieter's Frau traditionell ebenfalls Berg heißen soll. (Nicht weil ich unbedingt sexistisch sein will, sondern weil das damals halt so war!)


Um hier mal die Möglichkeiten zu demonstrieren, welche uns die Großstadt in punkto Charakterzeichnung bietet, lassen wir Ute im schönen Wien leben. Sehen wir uns zunächst ihr näheres Umfeld an: Eine Autowerkstatt, eine Metzgerei, ein Würschtelstand, ein Kiosk, ein Yachtclub... eine Menge mit dem man arbeiten kann! Da Wien aber schon eine etwas größere Stadt ist als Tessenberg, können wir ruhig weiter ausholen und uns gegebenenfalls auch der Verkehrsanbindung als Anhaltspunkt bedienen.



Und da ist sie auch schon: Ute Berg (geboren am 9. November 1960 in Wien) lebt in der Floridusgasse 30 im 21. Wiener Gemeindebezirk. Das hier ist ihr Grätzl, ihr zuhause! In derselben Gegend gibt es eine weitere Kaserne des Österreichischen Bundesheeres, die man vom 16 Minuten entfernten Bahnhof Floridsdorf aus bequem mit der Linie 31 erreichen kann. Interessant! 


Vielleicht ist Dieter nach dem Grundwehrdienst beim Heer geblieben und hat sich in den später dorthin versetzen lassen. Aber warum? Ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag der Van-Swieten-Kaserne zeigt, dass sich dort seit 1965 ein Heeresspital befindet. Hat Dieter etwa ein Interesse für die Medizin entwickelt? Da Ute 10 Jahre jünger ist als er, wird er sich dort womöglich längere Zeit aufgehalten oder in der Zwischenzeit etwas anderes gemacht haben, ehe sie einander das erste Mal begegneten. Zum Beispiel eine Ausbildung zum Militärarzt. 


Womöglich hat sie ihn sogar in dieser Funktion kennengelernt. Die Nähe ihres Wohnorts zur Kaserne könnte darauf hindeuten, dass ihr Ex-Mann, Herr Traugott, ebenfalls Berufssoldat war und aufgrund unglücklicher Umstände zu Dieter's Patient wurde. Vielleicht ist er verstorben und Dieter nahm sich der trauernden Witwe an. Und da ist sie auch schon: Die Basis für eine nette kleine Liebesgeschichte! 




Epilog



Wie man sieht kann es unglaublich spannend sein, sich Gedanken über Charaktere zu machen, selbst wenn es so einfache Modelle sind wie Dieter und Ute Berg. Lasst eurer Fantasie freien Lauf, experimentiert mit den Medien, erforscht eure Möglichkeiten. Und DANN erst versucht eure Figuren auf eine interessante Handlung loszulassen. Ich verspreche, ihr werdet angenehm überrascht sein!



#FEEDBACK

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EinBlick in die Seele der Gesellschaft: Sebastian Bohrn Mena im Kollektivpodcast In der intimen Atmosphäre des Kollektivpodcasts, einem Raum für tiefgründige Gespräche, die, wie der Name schon andeutet, für die gesamte Menschheit von Belang sein sollen, entfaltete sich ein Dialog von seltener Offenheit und Dringlichkeit. Zu Gast bei Musiker und Host David Pross war der Autor und bekannte TV-Analyst Sebastian Bohrn Mena. Was als Aufwärmrunde über seine ungewöhnliche Kindheit begann, entwickelte sich schnell zu einer messerscharfen Analyse der Zerreißproben, denen unsere moderne Welt ausgesetzt ist. Es war ein Gespräch, das von persönlichen Prägungen zu den größten Problemen der Menschheit führte und dabei die feinen Linien zwischen Psychologie, Politik und dem puren Menschsein nachzeichnete. Am Frühstückstisch der Therapeuten: Eine Kindheit unter dem Zeichen der Reflexion Wie prägt es einen Menschen, wenn beide Eltern Psychotherapeuten sind?. Diese Frage, von Host David Pross fast beiläufig gestellt, öffnete die Tür zu Bohrn Menas innerer Welt. Er erzählte von einer Kindheit, in der das Sprechen über Träume am Frühstückstisch zum Alltag gehörte. "Meine Mutter ist Psychoanalytikerin [...], mein Vater ist Gesprächstherapeut", schilderte er. Diese Konstellation sei als Kind grandios gewesen. Es war ein frühes Training in Selbstreflexion, das ihn lehrte, seine Emotionen zu ergründen und zu verstehen, was Erlebnisse mit ihm machen. Diese Erziehung, so wurde im Gespräch deutlich, ist der Nährboden für jene differenzierte Herangehensweise, die viele an seinen öffentlichen Auftritten schätzen – die Fähigkeit, auch in hitzigen Debatten nicht nur in Schwarz oder Weiß zu denken. "Dieses differenzierte Betrachten von Sachverhalten, von Personen, aber auch von sich selbst, ist eigentlich die Grundbasis dessen, was ich gelernt habe" , resümierte Bohrn Mena, der selbst einen Doktor der Psychotherapiewissenschaften besitzt. Dieses Rüstzeug erweist sich als unschätzbar, wenn er in Fernsehduellen auf politische Gegner trifft, wo es manchmal "sehr emotional, manchmal auch sehr persönlich wird". Besonders bei Themen wie Migration und Rassismus, die durch die Fluchtgeschichte seiner chilenischen Mutter tief in seiner eigenen Biografie verwurzelt sind, wird die professionelle Distanz zur Herausforderung. "Das triggert was in mir. Das muss ich ganz offen sagen". Er gestand, sich manchmal über sich selbst zu ärgern, wenn er emotional werde, wo er es nicht wollte. Doch er plädierte eindringlich dafür, sich die Menschlichkeit zu bewahren: "Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, dass wir Menschen bleiben und das bedeutet, dass wir ehrlich reagieren auf etwas". Der bedrohte Grundkonsens: Ein Plädoyer für die Rettung der Demokratie Vom Persönlichen schlug die Unterhaltung den Bogen zu den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Als größtes Problem unserer Zeit identifizierte Bohrn Mena das systematische Erodieren der Demokratie. Über Jahrzehnte, so seine Analyse, sei den Menschen ein Denken in Konkurrenz und Ellenbogenmentalität eingetrichtert worden , das uns zu Gegnern statt zu Verbündeten mache. Dies höhle den Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: die Solidarität und das Prinzip des Miteinanders. "Ich glaube tatsächlich, dass unsere Demokratie angezählt ist" , warnte er mit ernstem Unterton und verwies auf die wachsende Zahl von Menschen, die sich einen "starken Führer" wünschen. Host David Pross warf an dieser Stelle ein, dass es nicht nur ein emotionales, sondern auch ein massives intellektuelles Problem gäbe: eine mangelnde politische Grundbildung. Viele Bürger wüssten nicht einmal, was sie wählten, weil ihnen grundlegende Prinzipien wie die Gewaltentrennung fremd seien. Sein radikaler Vorschlag eines "Wahlführerscheins" stieß bei Bohrn Mena auf offene Ohren für eine Reform, auch wenn er den Hebel woanders ansetzen würde: bei der politischen Bildung, die bereits im Kindergarten beginnen müsse , und bei der Frage, warum man nicht stellvertretend für seine Kinder wählen dürfe, um deren Zukunft mehr Gewicht zu verleihen. Wut als Motor und die Falle des Populismus Einig waren sich beide, dass die Unzufriedenheit vieler Menschen, die "in der Früh hackeln geht und am Abend heimkommt", der Treibstoff für populistische Bewegungen ist. Die FPÖ, so Bohrn Mena, habe es perfektioniert, "der einzige Kanal für Wut in diesem Land" zu sein. Er warnte davor, diese Wut zu negieren, denn sie sei eine "unglaublich mächtige und wertvolle Emotion". Statt die Menschen zu beschwichtigen, müsse man anerkennen: "Du hast recht mit deiner Wut". Die Kunst bestehe darin, diese mobilisierende Kraft für ein gemeinschaftliches Ziel zu kanalisieren, anstatt sie einem "vermeintlich starken Mann" zu überlassen – ein Weg, der historisch betrachtet nicht gut ausgegangen sei. Zukunftsszenarien zwischen KI, Klimakrise und Krieg Das Gespräch navigierte weiter durch die großen Krisenherde der Zukunft. Die künstliche Intelligenz, die, wie Pross aus seiner Perspektive als Musiker schilderte, ganze Berufsfelder zu revolutionieren und zu vernichten droht , sei laut Bohrn Mena nur zu bewältigen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die gigantischen Gewinne der Tech-Konzerne der Gemeinschaft zugutekommen. Es sei ein Verteilungsproblem , das sich auch in der Geringschätzung von unbezahlter Sorgearbeit, die meist von Frauen geleistet wird, zeige. Als weiteres existenzielles Megathema benannte er den Wert der Natur. Unser Wirtschaftssystem, das einem Baum erst dann einen Wert zubilligt, wenn man ihn umhackt, führe geradewegs in die Katastrophe. Wir müssten verstehen, "dass wir ein Bestandteil der Natur sind" und ihr wieder Raum geben. Den düsteren Abschluss bildete das Thema Krieg, das alle anderen Krisen wie unter einem Brennglas bündelt. Hier zeigte sich auch der einzige klare Dissens zwischen den Gesprächspartnern. Während Bohrn Mena leidenschaftlich argumentierte, dass es aus pazifistischer Sicht feige sei, einem überfallenen Volk wie der Ukraine die Waffen zur Selbstverteidigung zu verweigern , äußerte Pross sein tiefes Unverständnis darüber, wie Waffenlieferungen je eine Lösung für Krieg sein könnten. Es war ein Moment, der die ganze Komplexität und die moralischen Zwickmühlen unserer Zeit offenbarte. Das Gespräch im Kollektivpodcast war mehr als nur ein Interview. Es war eine gemeinsame, schonungslose Bestandsaufnahme, die den Zuhörer nachdenklich und mit dem Gefühl zurücklässt, dass die Rettung der Demokratie und die Bewältigung der globalen Krisen bei jedem Einzelnen und im gemeinschaftlichen Handeln beginnen. Eine Einladung, nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen – und sich vielleicht die ganze, faszinierende Tiefe dieses Dialogs im Podcast selbst anzuhören.